Beten mit Hillary

Die Senatorin präsentiert sich bemüht als perfektes Superweib fürs neue Jahrtausend

Vielleicht soll das Buch ja nur das Credo der künftigen Präsidentenkandidatin beinhalten . . .. . . und man wird das Gefühl nicht los, die Frau könnte es schaffen – mit dieser ganzen Pose ihrer Generation

von RENÉE ZUCKER

Mann, ist das dick! Aber wenn schon die zwölfjährige Hillary Rodham, als sie einen Bericht über ihr Leben schreiben sollte, 29 Seiten absondern konnte, dann sind 643 Seiten für eine über fünfzigjährigeFrau, die sich aufmacht, die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden, nur konsequent.

Wer nach „Stellen“ sucht, dem sei die Lektüre ab S. 533 empfohlen. Sie beginnt mit: „Am Morgen des 21. Januar, es war ein Mittwoch, weckte mich Bill früh am Morgen. Er setzte sich auf die Bettkante und sagte: „Es steht etwas in der Zeitung, was du wissen solltest.“ Aber da hat Bill Hillary noch gar nicht die ganze Wahrheit gesagt. Nur, dass was in der Zeitung steht, was gar nicht stimmt. Die nächste „Stelle“ kommt dann auf S. 563: „Am folgenden Morgen, es war Samstag, der 15. August, weckte mich Bill früh auf – genau wie schon vor einigen Monaten. Diesmal saß er nicht auf der Bettkante, sondern lief im Raum auf und ab, während er mir erklärte, dass die Lage viel ernster …“ usw. Den Rest kennen wir. Hillary kriegt wahlweise keine Luft, ringt um Atem, schreit Bill an – all das eben, was wir so machen, wenn wir feststellen, dass wir ziemlich mies betrogen wurden – und dann noch mit dieser kleinen, armen reichen jewish princess und Prada-Schnalle Lewinsky.

Wir wissen jetzt, dass es Hillary nicht besser erging als tausend anderen betrogenen Ehefrauen, und wir wissen auch, dass unsere Hillary offenbar eine Langschläferin ist, die von Bill geweckt werden muss, damit sie den Schuss überhaupt hört. Dafür hat sie dann allerdings jede Menge Freunde und Helfer an ihrer Seite. Mit Faszination wird man die Seiten 639 bis 642 betrachten: So viel Danksagung ist beeindruckend. Auf vier Seiten sind nur die Namen all der Männer und Frauen aufgezählt, die im weitesten zur Hillaryland-Familie gehören und in den Zeiten beistanden, die in der gelebten Hillary- und Weltgeschichte beschrieben werden.

Die Frage bleibt, ob wir das alles wirklich wissen wollen, was in dieser Geschichte vorkommt. Und die zweite Frage ist, ob wir es wirklich so langatmig, so detailliert und dann noch von Hillary selbst erzählt bekommen wollen. Hillary kann nämlich nicht besonders unterhaltsam oder gar spannend schreiben. Oder diejenigen, die für sie geschrieben haben, können nicht schreiben. Vielleicht aber soll es auch gar nicht unterhaltsam sein, sondern nur das Credo der zukünftigen Präsidentenkandidatin beinhalten. Für alle zum Nachlesen. Für die zukünftigen Biografen der ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten. Das ganze Buch bebt schon im Voraus angesichts dieser historischen Bedeutung. Die zweifellos vorhanden wäre, wenn Hillary Präsidentin würde.

Aber könnte sie es nicht ein bisschen entspannter fahren? Hätte sie nicht mittlerweile ein bisschen Ostküsten-Understatement und Ironie übernehmen können? Sie ist immer noch das saubere, ehrgeizige Mädchen aus dem roten Ziegelhaus eines Chicagoer Vororts. Die brave Tochter eines Republikaners mit dröhnendem Lachen und einer Hausfrau, die heimlich demokratisch dachte. Streberin Hillary Rodham, die sich schon früh für Raumfahrt und Politik interessierte und als Schülervertreterin nicht müde wurde, sich für die Belange aller Entrechteten einzusetzen, und nebenbei noch ganz normal den American Way of Life entlangsurft: jeden Sonntag „Ed Sullivan Show“, Wahlhelferin für den Republikaner Barry Goldwater, aktives Gemeindemitglied der First United Methodist Church und ab und zu ein harmloser Streich, immer dem jeweiligen Alter gemäß.

So häufig in dem sogenannten Whitewater-Bericht von Kenneth Starr das Wort „Sex“ vorkommen soll (laut Hörensagen von Hillary auf 445 Seiten 581-mal), so oft kommen auf ihren 643 Seiten Worte wie „beten“ oder „Gebet“, „beichten“ oder „Glauben“ vor. Es soll Menschen geben, die Sex und Glauben für etwas Intimes halten. Dies scheint Hillary Rodham Clinton nicht so zu sehen. Zumindest nicht, was den Glauben angeht. So bekannt ihr Mann für seine Dödelattacken war, so aufdringlich geht sie mit ihrem Christentum hausieren: mit dem, was, wie sehr und wie oft sie glaubt und betet, und, ja, sie findet sogar nichts dabei, wenn Bill bei „einem Frühstücksgebet im Weißen Haus am 11. September [1998 sic!] sichtlich bewegt seine Sünden beichtet und das amerikanische Volk um Vergebung bittet“. Eines der Fotos im Buch zeigt sie inmitten ihres Gebetskreises um den gedeckten Kaffeetisch: „Diese Frauen waren mir in schwierigen Zeiten stets eine große Stütze – obwohl viele von ihnen Republikanerinnen sind. […] Wir beten mit- und füreinander.“

Man muss wohl amerikanischer Wahlberechtigter sein, um dabei nicht mittelschweres Schleimhautzucken zu bekommen. Man wird das Gefühl nicht los, dass diese Frau es tatsächlich schaffen könnte – mit dieser ganzen Pose ihrer Generation von „it takes a village“, Sisterhood, Hillaryland, christlich spirituellem Brei, stolze Mutter einer ebenso intelligenten und engagierten Tochter und „Er ist nicht nur mein Ehemann, sondern auch mein Präsident“-Wallung. Sie geht dabei so geschickt vor, dass einem ganz schlecht werden kann, wie sehr sie sich zu einer von uns designt. Wie sie auf die Ausgewogenheit von weiblich-mütterlichen Gefühlen und der Präsentation ihrer sachlichen Kompetenz, der nötigen politischen Härte und ihres Machtwillens achtet. Und dass alles, was sie tut, reasonable ist, den Gegebenheiten ihres Alters und den Zeitläuften entspricht. Perfektes Superweib für das neue Jahrtausend.

Klug verwebt sie das ganze eheliche Post-Lewinsky-Drama mit ihrer Entscheidung, als Gouverneurin von N.Y. zu kandidieren. Und sowenig sie über das wirkliche Drama Auskunft gibt, so wenig erzählt sie von den Abmachungenvor ihrem berühmt gewordenen Auftritt bei David Letterman. Sie ist nicht so souverän, zuzugeben, dass sie über manche „Überraschung“ vorab informiert wurde. Die ehemalige First Lady und zukünftige Kandidatin hat sich gegen zu viel professionelle Lakonie und dafür für jenen gewissen Hauch von Patriotismus entschieden, dem sich auch der abgewichsteste Ostküstenintellektuelle nicht verschließen kann: „Auch wenn ich noch nicht wusste, ob ich um meinen Mann und meine Ehe kämpfen sollte – für meinen Präsidenten würde ich in jedem Fall kämpfen.“ Das nennt man Unterscheidungstalent.

Letztendlich, wird sich möglicherweise herausstellen, hat der Lewinsky-Skandal ihrem Vorhaben eher genützt als geschadet. Stevie Wonder komponierte ihr ein Lied (You don't have to walk on water), Walter Cronkite lud sie zum Segeln ein, der Dalai Lama überreichte ihr einen Gebetsschal, und das amerikanische Volk schenkte ihr bei Umfragen einen Höchstwert von 70 Prozent Zustimmung – wir wissen jetzt nicht genau zu was. zur Rolle als betrogener Frau, zum Entschluss „Stand by your man“ oder zum langen Weg der ersten Frau ins Oval Office.

„Gelebte Geschichte“. Econ Verlag, 672 S., 24 €