Auf die schmutzige Tour

Die britische Stilbibel „Face“ feiert nach 23 Jahren ausnahmsweise mal nicht die coole Gegenwart, sondern die eigene Vergangenheit und Zukunft. Wie liest sich Hedonismus, der in die Jahre kommt?

von HENNING KOBER

„Living in a magazine!“ heißt es in einem Song der Popgruppe Zoot Woman. Hundertmal zu oft in Entwicklungsredaktionen an die Wand geschrieben, hat diese verlockende Vision ihren Fuß selten in die reale Welt gesetzt.

Vom deutschen Printmarkt ist sie mit dem Ende des jetzt-Magazins vorerst verschwunden, auch beim erwachsenen Identitätsvorbild Wallpaper funktioniert sie seit dem Weggang von Tyler Brule nicht mehr, nur die britische Face tanzt bis heute zusammen mit ihren Lesern den engen Pop-Pogo. In diesen Tagen liegt die neue Juli-Ausgabe der Face auch an deutschen Kiosken.

„Sexy! Shiny! Redesigned & Remixed“, verspricht die Werbeschrift auf einem Karton, der das eigentliche Heft mit Schauspieler Ashton Kutcher auf dem Titel schützt. Dem Heft liegt ein Supplement bei, das die letzten 23 Jahre, so lange gibt es die Face, Revue passieren lässt. Neues Design, neue Inhalte – wie gefährlich, ist die Face doch das Lieblingsmagazin äußerst sensibler Menschen zwischen 15 und 30 Jahren, die sich ihr Überleben im Dschungel der Markenwelt und Niederträchtigkeit des Menschlichen mit Freunden wie der Face sichern.

Hell, bunt, glücklich

Chefredakteur Neil Stevenson, der der Redaktion seit dem vergangenen Sommer vorsteht, erklärt im Editorial seine neue Face mit einem pinken Bild von London. Darauf zu sehen: kalifornischer Himmel über „Big Ben“-London, ein blondes Doll, deren Unterwäsche zu sehen ist, im Arm eines Kerls. So soll sie sein, die neue Face, heller, bunter, glücklicher. Das Ergebnis?

160 Seiten liegen in der Hand, das Papier ist etwas dünner geworden und scheint noch glänzender als gewohnt. Die Schriften wirken technoider und verspielter zugleich. Eröffnet wird mit einem Manifest für den kommenden Monat. Die elf Thesen spiegeln die Lebenswelt eines typischen Face-Lesers wider. Die Ansage heißt: „Gib Ibiza noch eine Chance“, „Entdecke die Musik von Roxy Music neu“ und „Denk über Botox nach“.

Die Face ist kein Christenmagazin, Rauschgift, Sex, auch auf die schmutzige Tour, Spiel mit dem Körper, gern auf gefährliche Art, und teure, unsinnige Luxusartikel gehören ins Heft wie zum Leben. Auffällig an der neuen Ausgabe die massive Präsenz von Politik. Gleich zu Anfang rennt ein vermummter Junge über eine staubige Straße in Ramallah. Ein Essay prognostiziert ein Revival politischer Mode-Statements. Autor Andrew Mueller erzählt in seiner Reportage „Iraq now“ von der Jugend Bagdads.

Aber die Face bleibt die Face. Dazu wird das Bild eines einheimischen Jungen gedruckt, vielleicht sechs Jahre alt, in seinem Mund eine „West“-Zigarette.

Dem politisch Korrekten und Anständigen verweigert sich die Redaktion aus Tradition heraus, vielleicht wichtigster Grund für ihren Erfolg und Garant für die Bruderschaft mit den Lesern. Wie bei keinem anderen Magazin passt die bevorzugte, selbstbewusste Verwendung der „Wir-Form“ in den Texten.

Spielfläche für Lifestyle

Blättert man durch das Geschichts-Supplement, offenbart sich dicht gedrängt, was wichtig ist an der Face: die stilsichere Erkennung von Trend und Zeitgeist, dazu verschwenderisch viel Spielfläche für junge Fotografen.

Mario Testino, Terry Richardson, Nick Knight und Ellen von Unwerth, die heute Stars sind, haben das Magazin in den vergangenen beiden Dekaden geprägt. Gezeigt werden im neuen Heft Model-Jungen, die extrem jugendlich aussehen – und richtige Frauen, die an Nixen erinnern. So sehr die Face auch den Jugendkult und die Lust an der Konfrontation frischer Menschen mit verderblicher Realität vorantreibt, genauso hip feiert sie verbrauchte Personen wie Mickey Rourke oder vor kurzem Anna Nicole Smith.

Crazy, sexy, cool ist hier keine Frage des Geldes. Jeder – und dann doch nicht jeder – kann es sein. Sicher ist nur: „Is it fab, is it in Face.“