Schneiden will gelernt sein

Bis zu 156 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich für Subventionen ausgegeben. Streichen will jeder. Doch wenn‘s konkret wird, streiten alle

von HANNES KOCH

In ihrer Not, die sie verbindet, haben Bundesregierung und Opposition zwei neue Zauberwörter erfunden. Das eine heißt „Subvention“, „Subventionsabbau“ das andere. Damit kann man alle möglichen schönen Sachen machen – wie die kleine Hexe Bibi Blocksberg. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) kann Löcher im Staatshaushalt weghexen, CDU-Chefin Angela Merkel zaubert die Wirtschaft gesund.

Die beiden Wörter sind zwar schon lange bekannt, doch erst in diesem Sommer sind sich Politiker aller Couleur einig, den heilbringenden Zauber auch wirklich zu nutzen. Das Leiden ist zu groß geworden. Alleine im Bundeshaushalt 2004, so haben Eichels Experten errechnet, fehlen schon jetzt etwa 40 Milliarden Euro. Zusätzlich will sich die Wirtschaft nicht erholen, was das Loch eher größer als kleiner werden lässt.

„Subventionsabbau hilft“, heißt es jetzt allerorten. Das Reservoir an fragwürdigen Finanzhilfen zugunsten von Bürgern, Unternehmen und Branchen ist in der Tat enorm. In der Geschichte der Bundesrepublik haben sie permanent zugenommen, weil sie ein ideales Mittel darstellen, der eigenen Klientel das Leben erträglicher zu gestalten oder den politischen Gegner ruhig zu stellen. Landwirten bezahlt der Staat einen Teil des Diesels für ihre Traktoren, Häuslebauer bekommen zehntausende Euro für ihr Domizil am See, die Chemieindustrie profitiert von großzügigen Abschreibungsmöglichkeiten auf ihre Gewinnsteuern.

Das Bundesfinanzministerium summierte 1998 die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von Bund, Ländern und Gemeinden zuzüglich der EU-Zahlungen auf 58 Milliarden Euro pro Jahr. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft kommt auf fast die dreifache Summe: Rund 156 Milliarden Euro sind demnach 1998 geflossen – im Verhältnis fast 70 Prozent des damaligen Bundesetats. Darüber, dass diese Summen ein Übel darstellen, sind sich fast alle einig. Die Übersichtlichkeit der Debatte endet allerdings, wenn es an konkrete Vorschläge geht. Dann gilt: Subventionen sind immer die Subventionen der anderen.

Gefragt, ob er denn die Eigenheimzulage für Bauherren oder die Entfernungspauschale, die Arbeitspendler vom steuerpflichtigen Einkommen abziehen, opfern würde, antwortete CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz gestern: „Was sind denn Subventionen?“ Die beiden angesprochenen Posten, die die Union zu ihrem Klientelbereich zählt, offenbar nicht. Denn Merz kam sofort auf die Steuerbefreiung zu sprechen, die Krankenschwestern für Nachtschichten erhalten. Eine Kürzung an diesem Punkt, so Merz, würde die Gewerkschaft Ver.di und damit die SPD besonders schmerzen. Weil sich in den kommenden Monaten ein riesiges Hickhack um die Lieblingssubventionen von Regierung und Opposition abspielen wird, glauben nur noch Optimisten, dass im Haushalt 2004 tatsächlich nennenswerte Beträge eingespart werden können.

Nicht nur derartige pragmatische Überlegungen bringen Alfred Boss vom Weltwirtschaftsinstitut dazu, das Problem viel grundsätzlicher anzugehen. „Alle Subventionen sind schlecht, man muss sie abschaffen“, sagt der Ökonom. Boss argumentiert, dass der Staat direkte Interventionen in den Markt beschränken solle, weil ihre Wirkungen den guten Zweck konterkarierten. Als Beispiel nennt er Ausgleichszahlungen, die zu teuer produziertes Getreide auf Marktpreis heruntersubventionieren. Obwohl die Europäische Union damit eine bestimmte Gruppe von Landwirten absichern wollte, käme das Geld dieser Zielgruppe großteils nicht zugute. Die Zuwendungen würden etwa dadurch aufgefressen, dass die Getreideaufkäufer die Bauern im Preis nach unten drücken – mit dem Argument, diese bekämen ja staatliche Unterstützung.

Aber kann der Staat überhaupt noch Politik machen, wenn die Subventionen gen null sinken? Allerdings, sagt Ökonom Boss. Die 156 Milliarden Euro freien Mittel müsse man nutzen, um die Steuern zu reduzieren. Der Eingangssteuersatz könne auf rund sieben Prozent sinken – verglichen mit 19,9 Prozent zurzeit. Viele Bürger und Unternehmen würden dann zwar keine Steuervergünstigungen mehr erhalten, hätten aber mehr Geld, was den vermeintlichen Nachteil ausgleiche.

Dass ein derartiger Systemwechsel keine realistische Chance in der aktuellen politischen Debatte hat, ist auch den Experten am Kieler Institut klar. Mit einem praktischen Hinweis liegen sie aber besser: Sie empfehlen, wie im Übrigen auch der Unternehmerverband BDI, die „Rasenmähermethode“. Wenn alle Vergünstigungen gleichmäßig gekürzt würden, halte sich der Streit über einzelne Ungerechtigkeiten in Grenzen. Möglicher Nachteil: Nicht nur einzelne, sondern alle Lobby-Bataillone marschieren gemeinsam nach Berlin und blockieren jedwede Einsparanstrengung. So oder so: Ob die Kraft der Zauberworte ausreicht, ist fraglich.