Ströbele für Wagenburgen

Der grüne Bundestagsabgeordnete will einen Gesetzesentwurf für alternative Lebensformen. Handlungsbedarf gibt es. Heute entscheiden Bewohner und Bund über die Wagenburg „Platz B“

von TORSTEN JOHN

Die Wagenburg „Platz B“ kann seit dem Wochenende einen wichtigen Erfolg feiern: Zum zweiten Mal besetzten die platzlosen Rollheimer ein Brachgelände an der Sebastianstraße in Mitte – und dürfen diesmal vorerst bleiben. Ein runder Tisch verständigte sich darauf, die Wagenburg befristet zu dulden. Denn heute wollen Vertreter von Platz B mit der Oberfinanzdirektion (OFD) über die Zukunft der Wagenburg auf dem Freigelände verhandeln.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele nimmt diesen Fall jetzt zum Anlass, noch in diesem Jahr im Bundestag eine breit angelegte Gesetzesinitiative für alternative Lebensformen zu starten. „Im Bauausschuss will ich eine Vorlage einbringen, um auf Bundesebene eine Rechtsgrundlage für experimentelle Lebensarten oder Kollektive zu schaffen“, sagt Ströbele. Da an dem Verfahren auch der Bundesrat beteiligt sein wird, könne der Ausschuss laut Ströbele auch Experten aus Hessen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder Hamburg anhören. Dort bestehen bereits unterschiedliche Rechtsmodelle auf Landesebene.

Auch in Berlin arbeitet schon seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe aus Politikern und Anwälten an einer Experimentier-Klausel, die Wohnprojekte auf den zahlreichen Brachen der Stadt möglich machen soll. Nun sollen Bundes- und Landesrecht aufeinander abgestimmt werden. „Der Bundestag braucht auch Signale. Und die haben wir in Berlin“, sagt Olaf Rose, der als grüner Bezirksverordneter von Friedrichshain-Kreuzberg an den Reform-Vorschlägen mitarbeitet.

„Vor zwanzig Jahren wäre das ganze Unterfangen hoffnungslos gewesen“, gibt sich Ströbele optimistisch. Doch dank eines „allgemeinen Umdenkens“ und Erfahrungen mit alternativen Wohnformen „muss man das hinkriegen“. Das Ziel sei, gewachsene Strukturen rechtlich zu fassen – „und nicht zu domestizieren“, wie Ströbele betont. Schließlich seien Wagenburgen keine „GmbH nach BGB“. So ein Verfahren könne zwar bis zu zwei Jahren dauern. „Aber bei den schwullesbischen Lebensformen ging das auch plötzlich sehr schnell. Warum sollte das hier nicht möglich sein?“

Doch erst mal drückt der Bundespolitiker am runden Tisch im Pfarrbüro der Kreuzberger St.-Michael-Gemeinde aufs Tempo. „Wo ist der Platz und wer ist der Eigentümer“, wollte Ströbele von den versammelten Wagenburglern und Bezirksvertretern wissen. Lange auf Antwort warten musste er nicht: Noch während der Gespräche rollten rund zehn Platz-B-Wagen auf das Grundstück wenige Meter vor dem Gemeindehaus

„Wir wollen mit unserer Aktion auch beweisen, dass in der Stadtmitte sehr wohl noch geeignete Freiflächen für unser Projekte vorhanden sind“, begründete ein Platz-B-Mitglied die plötzliche Ortswahl in Mitte. Zu oft habe man gerade dort im Bezirksamt das Gegenteil hören müssen.

„Seit Anfang der 90er-Jahre hat unsere Gemeinde gute Kontakte zu Wagenburgen in unserer Nähe“, begrüßt Pastoralreferent Hans-Joachim Ditz die Aktion. Er moderiert jetzt die weiteren Gespräche. Auch das Bezirksamt Mitte spielt bislang mit. „Wir müssen die über zehn Jahre alte Baunutzungsverordnung heute und künftig anders beurteilen, weil die Zeit weitergegangen ist“, sagte Karl-Friedrich Metz, Leiter des Stadtplanungsamts Mitte.

Einige Zeit blieb dennoch unklar, was mit der Spontanbesetzung wird und wie die Polizei entscheidet. Vor allem Polizeiobere wollten zunächst an der „Berliner Linie“ festhalten – und den Platz trotz des eindeutigen Votums des runden Tischs sofort räumen. Dabei hatte sich erst kürzlich auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) in einem Brief an Bernhard Strecker vom Deutschen Architekturzentrum (DAZ) klar und offen für den Erhalt von Wagenburgen ausgesprochen.

Erst nach einigen Verhandlungen konnte der Leiter der Polizeiwache dann die Wagenburgler fürs Wochenende beruhigen. Überraschend fuhr kurz darauf sogar noch Architekt Bernhard Strecker selbst mit seinem eigenen Wohnmobil aufs Gelände – und schloss sich Platz B spontan als neues Mitglied an. „Mir ist der Umgang mit Wagenburgen zu wilhelminisch-restriktiv“, kommentierte er die Ereignisse.