zwischen den rillen
: Doing it again: Steely Dan bitten zum Schlussverkauf

Tücke der Vergänglichkeit

Es muss eine späte Genugtuung gewesen sein: Selbst für Walter Becker und Donald Fagen, diese elaborierten Kulturpessimisten, die für die selbstverliebten Rituale der Plattenindustrie für gewöhnlich nur sanften Hohn und beißenden Spott übrig haben. Gleich vier Grammys durften Steely Dan im Februar 2001 für „Two Against Nature“ entgegennehmen, ihr Comeback-Album nach zwanzigjähriger Studiopause. Und das, nachdem ihr formidables Oeuvre bis 1980 in dieser Hinsicht noch vollständig ignoriert worden war.

Als sie nach vorn gerufen wurden, um auch noch den Hauptpreis fürs „Album des Jahres“ zu stemmen, da gab es hier und da vereinzelte Buhrufe für Becker und Fagen: Zumindest Teile des Publikums hätten wohl lieber den Favoriten Eminem auf dem Siegertreppchen stehen sehen. Doch es waren nicht nur die vielen Grammys, mit denen sie bedacht wurden, etwa in der reinen Technik-Kategorie fürs „Best Engineered Album“, welche ihnen Genugtuung bereitet haben dürfte: Die Akkolade kam als Werbung in eigener Sache genau zum richtigen Zeitpunkt für das Duo. Denn trotz eines Albums, das auch hierzulande schon vor der Awards-Flut in den Top Ten notiert war und allein in den USA über eine halbe Million mal verkauft wurde, standen Becker und Fagen tatsächlich ohne Plattenvertrag auf der Grammy-Bühne. Ihr Label Giant hatte dichtgemacht, und bei der Umstrukturierung im Konzern blieben halt auch ein paar Künstler auf der Strecke, die hausintern keine Lobby mehr hatten. So wie Steely Dan, bevor sich ein anderes Label ihrer erbarmte. Im selben Konzern. Becker und Fagen müssen sich vorgekommen sein, als wären sie plötzlich Hauptdarsteller in dem Film, für den sie doch eigentlich nur das Drehbuch schreiben wollten. Arbeitstitel: „Kopflos in der Krise“.

Deshalb bitten Steely Dan nun auf dem neuen Album „Everything Must Go“ zum großen Schlussverkauf in „The Last Mall“, wo das letzte Schnäppchen auch zur Metapher für den letzten Gang wird. Denn, singt Fagen im ersten Song, „in the morning – that gospel morning, you’ll have to do for yourself when the going gets tough“.

Die Tücken der Vergänglichkeit schlugen ja schon auf „Two Against Nature“ durch. Gut erinnert man den würdelos alternden „Cousin Dupree“, der auf seine späten Tage immer noch auf den Inzest mit Cousine Janine aus dem Sandkasten hofft. Oder den gescheiterten Romancier, der – frisch aus der Rehab – seiner alten Schulliebe die kleine Nummer zwischendurch leider versagen muss, in der Tat: „What A Shame About Me“, so ein Songtitel.

Dass selbst Walter Becker und Donald Fagen dann doch nicht gegen ihre Natur ankönnen, kann Normalsterblichen nur ein Trost sein. Zumal die beiden hier erwartungsgemäß weder eine larmoyante Abrechnung noch eine sentimentale Erinnerungskiste aufmachen.

Auch das trotzige „No Regrets“, das dann gern mal genommen (und doch oft nur behauptet) wird, liegt Becker und Fagen fern. Stattdessen rekapituliert zum Beispiel „Things I Miss The Most“ mit dieser unfassbaren Leichtigkeit, halb nüchtern, halb amüsiert. Ja, klar, der Talk, der Sex, der Audi TT, die Häuser am Meer. Und mittendrin dann dieser kleine, beiläufige Stich ins Herz, wenn Fagen auch „somebody to trust“ in den Reigen der Dinge aufnimmt, die er vermissen wird.

Was bleibt? Ausgerechnet der „Lunch With Gina“ is forever! Ganz irdisch könnte hier der Service besser sein, während Fagen das Arsenal seiner oft eh schon unwirklichen Frauenfiguren um eine wirklich virtuelle Variante bereichert. „Pixeleen“, gecastet von einem „cool-enough yes-man“ ist der perfekte Ultrateen. Doch Fagen zuckt nur mit den Schulern: „Better keep it real – or whatever.“ Zuvor tänzeln Steely Dan zu einer flotten Quizshow-Melodie hinunter zum „Blues Beach“, wo die früh Resignierten lange, traurige Sonntage verbringen. Obacht! „Things may get a whole lot worse, before suddenly falling apart.“

Musikalisch fällt hier natürlich gar nichts auseinander. Aber auch nichts aus dem Rahmen, den sie selbst für sich gesteckt haben. Becker spielt einige seiner wohl flüssigsten Gitarrensoli überhaupt, Fagen leider immer noch diese furchtbaren Synthsolos. Die Snare tackt(et) hier so furztrocken wie sonst nirgends, Bläser und Frauenstimmen im Background sind so dezent platziert wie genau das richtige Quantum frische Kräuter bei einem so opulenten wie leichten Sommermahl. Niemand sonst legt Jazz-Harmonik so gediegen unter Pop-Hooks, Blues-Licks, Funk-Rhythmen. Aber alles muss raus. Und alles geht dahin. Steely Dan irgendwann auch. Eigentlich kaum zu glauben. JÖRG FEYER

Steely Dan „Everything Must Go“ (Reprise/WEA)