„Ich mache Terror worldwide“

Martin Kliehm

„Nur weil wir zweimal um zwei Dezibel zu laut waren, wurden wir angezeigt! Außerdem wurde uns vorgeworfen, wir hätten sieben Minuten zu wenig Redebeiträge gehabt“„Ich hab mal auf eine Website der Lufthansa geschrieben: ‚Wir helfen bei der Abschiebung von Scheinasylanten.‘ Das fanden die gar nicht lustig“

Seit sieben Jahren organisiert der Frankfurter DJ Trauma XP alias Martin Kliehm die Fuckparade. Am kommenden Samstag ist es wieder so weit. Dann wird der 35-Jährige erneut freies Recht auf Party fordern und sich mit Hard Core Techno außerhalb der Mainstream-Gesellschaft positionieren. Nach dem Abitur machte Kliehm eine Ausbildung zum Rettungssanitäter, jobbte als Autor, Redakteur und Layouter, studierte sechs Jahre Medizin. Nach diversen Teilzeitjobs im Rettungsdienst verdient er seit drei Jahren sein Geld als Webdeveloper. Im September wird Kliehm Vater, und vielleicht sampelt er dann Babygeschrei.

Interview BARBARA BOLLWAHN

taz: Herr Kliehm, Sie leben und arbeiten in Frankfurt/Main und organisieren von dort seit sieben Jahren die Fuckparade in Berlin.

Martin Kliehm: Ich war nach 1990 sehr oft in Berlin, viel im Tresor und im Bunker und habe dort auch aufgelegt. 1996 sollte dort die letzte Party sein. Die wurde von der Polizei geräumt. Das war mit ein Auslöser, dass wir uns überlegt haben, Mist, der Bunker ist zu, die Love Parade nicht mehr das, was sie mal war, und wenn die Love Parade eine Demo ist, dann machen wir eine Gegendemo.

Warum haben das die Berliner nicht selbst gebacken bekommen?

Von denen hatte das damals niemand in die Hand genommen, weil sie mit eigenen Projekten zu tun hatten. Ich hab damals noch als Rettungssanitäter gearbeitet und hatte einigermaßen Freizeit. Ich holte mir ein Buch über Demonstrationsrecht und fragte bei der Versammlungsbehörde, wie man eine Demo anmeldet. Inzwischen gibt es ein loses Netzwerk von Leuten, die auch organisatorisch tätig sind.

Wie sind Sie zu Techno gekommen?

Ich habe mit zehn oder zwölf Jahren die erste richtige Platte nach Schneewittchen gehört: Mike Oldfield. Der hat viel mit Synthesizern gearbeitet und Studiotechniker zur Verzweiflung getrieben, weil er 16 Tonspuren parallel hatte, aber alle Instrumente selber gespielt hat. In den 80er-Jahren hatte ich eine ziemliche Affinität zu elektronischer Musik. Neulich habe ich für eine Freundin ein Mixtape aufgenommen und dabei festgestellt, ich hatte von allem was. Break Dance, HipHop-Zeugs, Grand Master Flash, so ein bisschen alte Elektronikgeschichten, was zum Teil auch in den Charts war, und im Prinzip alles, was Computer dabei hatte. Und so 1989 war ich schon regelmäßig in Technodiscos.

Auch in Berlin?

Im Tresor war ich alle zwei, drei Monate. Da musste man noch über Holzplanken und Pfützen rein in den Keller, und es gab keinen zweiten Ausgang. Man hat sich so umgeschaut und gedacht, wenn es jetzt brennt, dann bin ich tot. Aber es war geil!

Hören Sie ausschließlich solche Musik?

Ich hatte früher mal was von Dvořák. Naja, ich kann’s anhören und kriege keinen Brechdurchfall. Ich mag Ragga auch ziemlich gerne. So bisschen härterer Ragga. Drum ’n’ Bass, nicht so gebrochene Rhythmen, mehr so dark step. Wenn die sich bemühen, können die auch auf 200 Beats pro Minute kommen und dann kribbelt es mir in den Beinen. Nur so bum, bum und bum und irgendeine Melodie, das inspiriert mich zu wenig. Meine Reisegeschwindigkeit, wenn ich selber auflege, sind 230 bis 250 Beats pro Minute. Da passiert schon was. Da wird Adrenalin ausgeschüttet.

Wie hält man das eine ganze Nacht aus?

Ach Gott (lacht). Nee, nee. Früher im Bunker, als ich noch jung und sportlich war, da hat man auch nicht die ganze Nacht getanzt. Da hat man fünf bis zehn Minuten getanzt, dann hat man zehn Minuten Luft geholt und dem DJ zugeguckt. Ich habe so manche T-Shirts durchgeschwitzt. Aber eine ganze Nacht durchzutanzen ist viel zu anstrengend.

Was unterscheidet die Musik bei der Fuckparade von der bei der Love Parade?

Der Unterschied liegt weniger in der Musik. Es gibt auch ja auch bei der Fuckparade Tech House und Electro und Minimal House und Goa Trance. Es ist ja nicht so, dass da nur Hard Core gespielt wird. Schon auch Hard Core und Drum ’n’ Bass. Aber es ist querbeet. Der Unterschied ist mehr die Attitüde der Leute. Die bei der Fuckparade mitmachen, veranstalten in der Regel das ganze Jahr über unkommerzielle Partys. Denen geht es mehr darum, eine Party zu machen, und sie scheren sich nicht darum, ob das legal oder illegal ist.

Eine der politischen Forderungen der Fuckparade ist das Recht auf Party. Was heißt das genau?

Es soll keine Kriminalisierung geben von Leuten, die einfach nur eine Party machen. Punkt. Leute, die eine Party machen, machen nichts Kriminelles und sie machen es auch nicht zum Selbstzweck, weil es so toll ist, was illegal zu machen. Sie machen es aus der Notwendigkeit heraus, dass es keine Räume gibt, dass man in die normalen Clubs nicht reinkommt oder deren Konzepte zu kommerziell sind. Die Oberfinanzdirektion, die damals auch Eigentümerin vom Bunker war, hat überhaupt kein Interesse, Zwischenmietverträge abzuschließen. Warum macht man keinen Raumpool für leer stehende Industriegelände und schafft so die Möglichkeit, Räume zu erschließen, temporäre Konzessionen zu erteilen und diese eines Tages vielleicht in langfristige Konzessionen zu überführen? Ich empfinde für mich auch, dass ich ein Recht darauf habe, Party zu machen. Wenn ich nirgends Räume bekommen kann, dann nehme ich mir die Räume. Als Bürger einer Stadt oder eines Staates habe ich ein Recht darauf, solange ich nicht assig bin oder die Anwohner krass störe.

Haben Sie für dieses Jahr bestimmte Objekte im Auge?

Ja, schon (lacht). Das kann ich aber nicht verraten. Es sind im Prinzip all die Orte, die seit paar Jahren leer stehen, die für temporäre Haubesetzungen in Frage kommen.

Keine Angst vor Konsequenzen?

Ach. Im Zweifelsfall ist es Hausfriedensbruch. Aber in der Regel bekommt das eh niemand mit. Es kann auch niemand nachweisen, ob die Tür nicht vorher schon offen stand oder womöglich böse Menschen sie zwei Tage vorher aufgebrochen haben.

Wieso wurde die Hateparade in Fuckparade umbenannt?

1997 nannten wir das Ding Hateparade, weil es als Gegendemonstration zur Love Parade auf der Hand lag. Das war nicht besonders originell, zudem mussten wir feststellen, dass andere auch die Idee hatten. Und es gab auch viele Missverständnisse. Es ist ja nicht nur die Geschwindigkeit der Musik, sondern auch so eine Selbstironie. Die Musik ist auf der einen Seite unheimlich krass und hart, aber auf der anderen Seite oft mit einem Augenzwinkern. So krasse und komische Sampels, dass es schon wieder lustig ist. Aber das Wort Hate ist negativ besetzt und das Augenzwinkern dabei haben viele nicht verstanden.

Auch bei der Versammlungsbehörde hält sich das Spaßverständnis in Grenzen. Nach der Fuckparade im vergangenen Jahr wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Sie eingeleitet.

Nachdem alles gut und friedlich gelaufen war, bekam ich im September eine Vorladung zum Gericht, weil ich angeblich gegen die Auflagen verstoßen hatte. Bei der Gerichtsverhandlung stellte sich raus, dass letztes Jahr bis zu 70 Kontrollmessungen durchgeführt wurden. Nur weil wir zweimal um zwei Dezibel zu laut waren, wurden wir angezeigt! Außerdem wurde uns vorgeworfen, wir hätten sieben Minuten zu wenig Redebeiträge gehabt. Der Herr Hass, der Leiter der Ordnungsbehörde, der die Anzeige in die Wege geleitet hat, hätte wissen müssen, dass das strafrechtlich nicht relevant ist. Der wollte uns einen reinwürgen, uns diskreditieren.

Geschafft hat er es nicht. Sie wurdest freigesprochen. Kann es eine gute Zusammenarbeit mit Herrn Hass noch geben?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Hass hat in der direkten Kommunikation immer gesagt, dass er nur Befehle von oben ausführen müsse. Das glaube ich nicht mehr. Polizeipräsident und Innensenator sind keine CDU-Menschen mehr, dennoch wird die gleiche stringente Demonstrationspolitik gemacht unter dem fadenscheinigen Argument, es gebe zu viele Demonstrationen. Wenn die Polizei tatsächlich so viele Überstunden hat und das tatsächlich an den Demonstrationen liegen soll, dann machen sie irgendwas falsch. Vielleicht sind sie zu paranoid.

Sollte man in Anspielung auf den Leiter der Versammlungsbehörde die Fuckparade nicht doch wieder in Hateparade zurückbenennen?

(lacht). Nein. Nachdem wir uns von der Love Parade emanzipiert haben, können wir uns auch von Herrn Hass emanzipieren.

Sie haben bereits angekündigt, sich aus den Planungen für die Fuckparade etwas zurückzuziehen, weil Sie im September Vater werden. Heißt es dann Windeln wechseln statt Gabba auflegen?

Eigentlich nicht. Die meisten Leute, die ich kenne, die Vater geworden sind, haben das Geschrei von ihren Babys gesampelt. Aus dem Goa-Trance-Bereich kenne ich einige, die mit Baby auf Partys gegangen sind und aufgelegt haben – mit dem Babyphon an einem Ohr und dem Kopfhörer am anderen. Mal sehen, was sich da machen lässt.

Sie tragen fast immer T-Shirts mit dem Aufdruck „Terror worldwide“. Auch ein Augenzwinkern, das nicht als solches verstanden wird?

Terror worldwide ist das, was ich mache. Ich lege weltweit in irgendwelchen komischen, illegalen Untergrundschuppen in besetzten Häusern und an Stränden und sonstwo auf, und Hard Core Techno ist für mich auch der Punk der Technomusik. Man gibt damit durchaus ein gesellschaftspolitisches Statement ab. Für mich ist schon klar, dass sich Leute, die auf so extreme Musikrichtungen stehen wie Drum ’n’ Bass oder Noise, schon etwas außerhalb dieser Gesellschaft positionieren.

Nun kann man von Ihnen aber nicht gerade sagen, dass Sie außerhalb der Gesellschaft stehen.

Ich bin seit fünf Jahren Webdeveloper, also Programmierer. Davor war ich Rettungssanitäter und habe eine Weile Medizin studiert. Bei der Netzagentur, für die ich arbeite, habe ich mal eine Abmahnung bekommen, weil ich auf eine Website, die wir für Lufthansa gemacht haben, geschrieben hatte „Wir helfen bei der Abschiebung von Scheinasylanten“. Das fanden die gar nicht lustig. Aber es stimmt schon, dass ich ziemlich in die Gesellschaft integriert bin. Aber auf der anderen Seite finde ich, können sich die Leute mal um einiges lockerer machen.

Und das gilt auch für die Fuckparde?

Die Behörden sollten nicht fragen, warum will der denn das machen, sondern sie sollten sich mehr fragen, wie können wir eine coole Sache ermöglichen. Party im Park – warum nicht? Die Politiker müssen umdenken in Sachen Demonstrationsrecht. Demonstrationsfreiheit ist eine der wichtigsten und grundlegendesten Rechte einer Demokratie.

Sollte es die Love Parade irgendwann nicht mehr geben, ist es dann auch mit der Fuckparade vorbei?

Die Love Parade interessiert uns nicht die Bohne. Aber es ist schade, dass sie sich so sehr von der Technoszene entfernt hat. Wenn nur noch Plüschraver kommen, die auf RTL 2 gehört haben, dass es cool ist, dorthin zu fahren, schadet das doch dem Image. Aber Gott, wir können damit leben. Die Love Parade ist nicht die Technoszene, und wir haben ein ganz gesundes Selbstbewusstsein und können auch ohne die Love Parade existieren. Ob die ohne die Szene existieren kann, ist eine andere Frage. Solange es Leute gibt in Berlin, die illegale Partys machen und denen an Vernetzung mit anderen gelegen ist und auch daran, dass wenigstens einmal im Jahr öffentlich zu machen, so lange kann es die Fuckparade geben.