„Wir sind nicht allein“

Müssen nur wollen: Judith Holofernes und Pola Roy spielen in der richtigen Band zur richtigen Zeit, bei Wir Sind Helden aus Berlin. Ein Gespräch über Konsumverzicht als Verkaufsschlager, Ende der Spaßgesellschaft und kontrollierten Imagetransfer

Interview THOMAS WINKLER

taz: Deutschland im Jahre 2003, die Steuerreform wird vorgezogen, der Kanzler ruft zum massenhaften Konsum auf. Sind Wir Sind Helden einsame Rufer in der Wüste?

Judith Holofernes: Gestern hat mir zum ersten Mal jemand vorgehalten, zum Konsumverzicht aufzufordern, sei schlecht für die Arbeitslosen. Ich habe nur gedacht: Mein Gott, jetzt geht das los.

Pola Roy: Wir fühlen uns nicht allein. Ich habe eher das Gefühl, dass sich ganz viele Menschen damit beschäftigen.

Judith Holofernes: Nachhaltigkeit mag ein altmodischer Begriff sein, aber ich finde es wichtig, zu unterscheiden zwischen dem, was man braucht, und dem, was andere wollen, das man wollen soll. Vollbeschäftigung ist nur noch ein Mythos. Diese Millionen Arbeitsplätze wird es nie wieder geben. Aber natürlich kann man niemanden, der sich sorgt, wo er was zu essen herkriegt, sagen, dass Arbeit und Konsum scheiße sind. Aber den paar Leuten, denen es noch anders geht, denen kann man das sagen. Mit denen kann man auch diskutieren, ob es nicht noch andere Konzepte gibt, ob Arbeit als einzige identitätsstiftende Maßnahme nicht ausgedient hat.

Ist es nicht problematisch, wenn man ausgerechnet den Verzicht zum Verkaufsschlager macht?

Pola Roy: Wir haben nie gesagt, wir wollen keinen Erfolg.

Judith Holofernes: In meinem Weltbild ist das Bedürfnis nach Musik auch kein sehr Verwerfliches. Natürlich wollen wir Leute erreichen, aber nicht um jeden Preis. Außerdem ist es doch schön, wenn uns die Leute für die Dinge mögen, die wir so in die Welt hinauströten. Nur über Abgrenzung zu funktionieren wäre doch langweilig.

Ist nicht die Abgrenzung zur Spaßgesellschaft das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Pola Roy: Wir grenzen uns nicht ab, gerade Konsumsüchte stellen wir auch in uns fest, wir sind schließlich auch von dieser Gesellschaft geprägt. Nur: Das macht nicht glücklich, und das stellen wir fest – wie momentan noch mehr Leute.

Markiert Ihr Erfolg oder der von Herbert Grönemeyer und ernsten Bands wie Tomte einen Trend? Sind Zynismus und Ironie am Ende, sind die Neunziger endgültig vorbei?

Judith Holofernes: Ich glaube schon, dass wir die richtige Band zur richtigen Zeit sind. Die Plattenindustrie hat sich in den Neunzigerjahren selber ins Knie geschossen, weil sie zu sehr auf das produkthafte Musikverkaufen gesetzt hat.

Pola Roy: Ohne das werten zu wollen, aber „Deutschland sucht den Superstar“ hat noch mal sehr deutlich gemacht, wie das Casting-Wesen funktioniert, wie Hits gemacht werden. Andererseits gibt es auch viele Leute, die handgemachte Musik und echte Gefühle wollen.

Aber Künstlichkeit im Pop war durchaus eine Utopie und nicht nur ein Verkaufsargument.

Judith Holofernes: Ich habe kein Problem mit Images oder mit Künstlichkeit. Ich habe das Konstruieren von Identitäten immer gemocht – bei David Bowie zum Beispiel. Aber das ist ein anderes Genre, das ist Märchenerzählen, das ist großes Kino. Das würde uns nicht liegen. Auch bei Madonna merke ich eine Aufrichtigkeit, gerade weil sie sich immer wieder neu erfindet. Nichts, was sie tut, geht nicht von ihr aus.

Sie selbst spielen nicht mit Images?

Judith Holofernes: Doch, bestimmt. (Pause) Da muss ich erst mal nachdenken. (muss lachen)

Ist es womöglich auch Teil Ihres Erfolgs, dass Sie als nettes Mädchen von nebenan aufgenommen werden, dass Sie nicht, wie es im Zuge des Achtziger-Revivals angesagt ist, sexuelle Aggressivität verkörpern?

Judith Holofernes: Natürlich sagen die Leute, dass ich niedlich bin, aber bisher habe ich noch das Gefühl, dass ich gemocht werde für etwas, wofür ich mich auch mag.

Droht da keine Authentizitätsfalle?

Judith Holofernes: Bestimmt. Man kriegt alles um die Ohren gehauen: Die Leute wollen auf keinen Fall, dass die Band von Plattenfirmen oder Managern kontrolliert wird, die Band darf aber auch nicht so clever sein, alles selbst zu kontrollieren. Wir kriegen immer auf den Deckel: Manche meinen, bei uns scheine das Kalkül durch. Anderen sind wir zu naiv.

Pola Roy: Mit großer Sicherheit werden wir in einem Jahr keinen Bock mehr haben, so zu sein, wie wir heute sind. Man muss sich verändern als Künstler. So wie Madonna eben: Gerade ihre Veränderungen sind natürlich.

Judith Holofernes: Madonna ist total stimmig.

Sie ist stimmig, weil sie in einem Popkontext mit Popimages spielt. Sie allerdings benutzen ein den Popkontext ablehnendes Image, um im Popkontext etwas zu verkaufen.

Judith Holofernes: Das stimmt, aber was verkaufen wir denn? Wir verkaufen Platten mit unserer Musik drauf, wir verkaufen ja keinen Scheiß.

Früher haben Sie sogar die T-Shirts selbst bemalt.

Pola Roy: Ja, wir haben alles selber gemacht, aber das geht dann irgendwann nicht mehr, weil man keine Musik mehr macht, sondern nur noch telefoniert. Die Hauptsache aber ist, dass weiterhin alle Entscheidungen über unseren Tisch laufen. Dann beraten wir uns: Selten kurz …

Judith Holofernes: … sondern eher lang. Inzwischen haben wir aber einen „Helden-Assistenten“.

Einen Sekretär?

Judith Holofernes: So etwas in der Art. Wir wollten kein richtiges Management, niemanden, der uns schon aus Eigeninteresse ehrgeiziger machen muss, als wir sind. Und wir wollten auch keine Agentur, die verschiedene Künstler im Angebot und damit auch ihre Standardraster im Kopf hat. Da wird man plötzlich zum Arbeitsalltag von jemand anderem. Stattdessen achten wir heute noch darauf, woher die T-Shirts kommen, die wir verkaufen, dass sie ein Zertifikat haben, dass sie nicht mit Kinderarbeit hergestellt werden. Die sind um einiges teurer, aber es kann nun mal anstrengend sein, die eigenen Standards zu wahren, und mitunter geht das nur unter Schmerzen.

Dass einer Ihrer Songs für Werbung freigegeben wird, ist also nicht zu erwarten?

Pola Roy: Es geht darum, den Imagetransfer zu kontrollieren.

Judith Holofernes: Klassische Konsumgüter schließe ich weitgehend aus. Andererseits kann man ja auch für Kultur oder Inhalte werben, aber ich will nichts verkaufen, von dem ich nicht weiß, woher es kommt.

Ganz schön anstrengend.

Judith Holofernes: Stimmt. Ich will zwar nicht der Klassensprecher der Nation werden, aber dass man ständig abgeklopft wird auf seine Konsequenz, das finde ich gut, denn so haben wir die Möglichkeit zu sagen: Wir sind nicht konsequent, aber wir machen es trotzdem. Man kann gar nicht konsequent sein, sonst könnte man gar nichts mehr machen.

Trotzdem wäre das Leben einfacher, wenn man nicht jede Entscheidung auf ihre politische Korrektheit abklopfen müsste.

Pola Roy: Das ist ein fieses Wort: politisch korrekt.

Judith Holofernes: Es ist schade, dass der Begriff, das was dahinter steht, so diskreditiert ist. Man sollte vielleicht wieder das altmodische „achtsam“ nehmen.

Ist dieses Interesse in Ihrer Biografie begründet? Darin, dass Sie auf Kinderbauernhöfen aufgewachsen sind mit Spielkameradinnen namens Chaota?

Judith Holofernes: Chaota, das muss mal gesagt werden, hat das Meerschweinchen ermordet. Mit einem Bleistift. Natürlich habe ich diesen 68er-Hintergrund.

Kennen Sie keine Generationskonflikte?

Judith Holofernes: Ich finde sehr wichtig, zu respektieren, was die Generation unserer Eltern geschafft hat. Bis vor ein, zwei Jahren war es total schick, sich über die ganzen Ismen lustig zu machen. Wenn man sich als Feministin bezeichnete, wurde gekichert. Es heißt immer, die hätten doch nichts erreicht, aber das ist Blödsinn. Meine Mutter konnte noch nicht alleine in die Kneipe gehen, ohne den ganzen Abend blöd angestarrt zu werden.

Ihre meckernden Inhalte entsprechen dem quäkenden Sound der Achtzigerjahre. Sind Sie eine Neue-Deutsche-Welle-Revival-Band?

Judith Holofernes: Die Achtzigerjahre sind sehr inspirierend, was deutschsprachige Musik angeht. Es war ein Scheißjahrzehnt, es gab aber auch nette Protestbewegungen. Außerdem war es ein Gründerjahrzehnt für die unabhängige Plattenindustrie.

Stimmt es, dass Sie den Heldenbegriff von den Feuerwehrmännern zurückreklamieren wollten?

Judith Holofernes: O je, die armen Feuerwehrmänner, die können doch nichts dafür. Ein Nebenaspekt des Namens war sicherlich, dass der Begriff Helden zu der Zeit in den Medien sehr inflationär gebraucht wurde.

Wer sind Ihre Helden?

Judith Holofernes: Ich fand ja immer Diane Fossey gut, die mit den Gorillas.

Pola Roy: Gorillas finde ich langweilig. Dann eher Haifische. Das Geile an den Haifischen ist dieses Dumpf-Gefährliche.

War es heldenhaft von Harald Schmidt, Sie einzuladen?

Pola Roy: … nur Judith einzuladen. Den Rest der Band hat er nicht eingeladen.

Als Sie da im Sessel saßen, kam Ihnen da der Gedanke: Oh, jetzt geht es los, jetzt werde ich berühmt?

Judith Holofernes: Mir ist erst mal schlecht geworden, als die Einladung kam: Oh Gott, ich muss zu Harald. Denn in erster Linie finde ich den Schmidt ja toll, weil er so anarchomäßig mit seiner Sendezeit umgeht. Aber man denkt schon daran: Was passiert denn jetzt?

Auch durch diesen Auftritt sind Sie zum Sexsymbol einer Generation geworden.

Pola Roy (setzt sich in Positur): Wie soll ich sagen: Es ist schon irgendwie auch schön, so ein Sexsymbol zu sein. (Gelächter)

Judith Holofernes: Ich hoffe nicht, dass das Thema überhand nimmt. Aber wenn es so wäre, dann würde mir das selbstverständlich auf die Nerven gehen. Plötzlich ist man die „Hübscheste Frau einer Generation“, das ist natürlich Blödsinn. Tausende Frauen sind hübscher, aber weil man ständig abgebildet wird, ist man plötzlich die Hübscheste.