„Jugendliche haben klare Vorstellungen“

Ein Gespräch mit Eberhard Seidel, Geschäftsführer von Schule ohne Rassismus, über das Open Space „Islam und ich“

taz: Haben Jugendliche besonderen Bedarf, über Islam zu sprechen?

Eberhard Seidel: Es ist zumindest ein Thema, das sie sehr beschäftigt. Unser Diskussionsthema heißt „Islam und ich“. Es geht also um die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen mit dem Islam. Bislang vernachlässigt man die Rolle des Islam im Alltag Jugendlicher. Der öffentliche Diskurs lief jenseits davon. Unsere zentrale Frage ist: Was bedeutet Islam im Alltagsleben der Jugendlichen?

Sie kritisieren, wie der öffentliche Diskurs verläuft. Was stört Sie daran?

Der Dialog über den Islam verläuft sehr ritualisiert: Eine kleine Elite von Interessengruppen, Siftungen, Kirchen und islamischen Verbänden versichert sich wechselseitiger Toleranz und setzt eine Agenda mit angeblich wichtigen Themen. Islamische Verbände versuchen dabei ihre Verbandspolitik durchzusetzen. Das Interesse der Kirchen am Dialog ist nicht nur, zu mehr Verständnis zwischen Islam und Christentum beizutragen, sondern es geht ihnen auch darum, das Religiöse wieder stärker ins Alltagsleben zu bringen. Häufig bestimmen bei der Diskussion über Islam Eigeninteressen der Dialogpartner die Themen.

Und diese Verbandsinteressen unterscheiden sich grundsätzlich von der Lebenswelt Jugendlicher?

Unser Ausgangspunkt ist, dass Islam bei Jugendlichen, wenn überhaupt, dann im Alltagsleben eine Rolle spielt, bei Themen wie Beziehung, Partnerschaften, Sexualität und Freundschaft. Die Frage ist, wie Jugendliche mit Konflikten, die aus unterschiedlichen Wertmaßstäben entstehen, umgehen.

Und diese Konflikte wollen sie aufzeigen?

Mit den Veranstaltungen versuchen wir, Konflikte zumindest sichtbar zu machen. Wenn sich herausstellen sollte, dass zum Beispiel das Religiöse keine Relevanz hat, können wir dementsprechende Schlussfolgerungen für die Jugendarbeit ziehen. Zum Beispiel, dass interkulturelle Flirtkurse wichtiger sind als islamischer Religionsunterricht, den Kirchen und islamische Verbände befürworten.

Ihre erste Station ist eine Berliner Schule im multikulturellen Kreuzberg. Gibt es dort besondere Spannungsverhältnisse?

Es gibt sie in der interkulturellen Schülerschaft auf verschiedenen Ebenen und zwischen verschiedenen Schülergruppen. Einen Hintergrund wollen wir grundsätzlicher beleuchten: den Islam. Hier wollen wir Transparenz: In welcher Form spielt er eine Rolle? Darüber weiß die Gesellschaft bisher wenig. Um ein Querschnittsergebnis zu erhalten, veranstalten wir die Diskussion in vier Städten, nicht nur in Berlin, sondern auch in Bremen, Köln und Saarbrücken. Ich vermute, dass Jugendliche wesentlich kreativer mit dem Thema umgehen.

In welcher Form kreativer?

Dass neue Formen des Miteinanders ausgelotet werden, etwa wie Beziehungen aussehen können. Erwachsene diskutieren auf einer ganzen Reihe von Dialogveranstaltungen in großem Respekt voreinander, berühren diese wesentlichen Themen aber nicht. Meine Erfahrung ist, dass Jugendliche sich intensiv damit auseinander setzen und teils sehr klare Vorstellungen haben. Wenn sich Debatten ideologisch verhärten, gehen sie auf Distanz.

Was versprechen Sie sich von der Debattenform „Open Space“?

Wenn es gelingt, auch Themen zur Sprache zu bringen, die bislang öffentlich nicht auf der Tagesordnung stehen, wäre ich zufrieden. Hoch zufrieden wäre ich, wenn wir damit möglicherweise eine Diskussion anregen, die ziemlich festgefahren scheint. Die gelebte Interkulturalität ist weiter fortgeschritten, als es die Debatten an Akademien oder auf entsprechenden Tagungen vermuten lassen.

INTERVIEW: SUSANNE LANG