Härtetest für den Gottesstaat

von BAHMAN NIRUMAND

Die Zeit läuft. Beide Seiten, die Opposition und die Machthaber im islamischen Gottesstaat Iran, bereiten sich auf ihre erste, ernstzunehmende Kraftprobe vor. Sämtliche Oppositionsgruppen im In- und Ausland haben für den 9. Juli, den Jahrestag des Überfalls auf ein Teheraner Studentenwohnheim, das Volk zu Protestkundgebungen aufgerufen.

Damals, vor vier Jahren, fanden die größten Studentendemonstrationen seit Bestehen der Islamischen Republik statt. Dabei wurde ein Student getötet, Hunderte wurden festgenommen, einige davon befinden sich noch immer in Haft. 4.000 neue Festnahmen gab es bei den jüngsten Unruhen, die vom 10. Juni an zwei Wochen andauerten. Dabei wurde erstmals der Rücktritt von Revolutionsführer Ali Chamenei und sogar von Reformpräsident Mohammed Chatami gefordert.

Radikal links bis rechts

Die Regierung hat für den 9. Juli Versammlungen außerhalb der Universitäten verboten. Die Stimmung im Land ist äußerst gespannt. Selbst wenn die unzufriedenen Massen trotz des Verbots dem Aufruf der Opposition folgen sollten, bliebe der Ausgang ungewiss. Denn zwar befindet sich der islamische Staat schon längst in einem Zerfallsprozess, auch die Versuche, die Chatami und seine Mannschaft unternommen haben, um den Staat von oben zu reformieren und eine zivile Gesellschaft zu gründen, sind gescheitert.

Doch eine ernst zu nehmende Alternative ist nicht in Sicht. Sämtliche legalen Gruppen und Organisationen, auch jene, die Reformen fordern und dem System der „Welajat-i-Fakih“, der absoluten Herrschaft der Geistlichkeit, kritisch gegenüberstehen, sind in den Machtapparat integriert.

Ausnahmen bilden zwei liberal-islamische Gruppen: die Freiheitsbewegung und die National-Religiösen, die am Rand der Legalität existieren. Beide genießen zwar in der Bevölkerung große Popularität, ihnen fehlen jedoch die organisatorischen Strukturen und Mittel, um das Volk für den aktiven Widerstand zu mobilisieren. Hinzu kommen studentische Gruppen, allen voran die Tahkim Wahdat. Sie hat jahrelang Chatami unterstützt und erst vor nicht allzu langer Zeit radikalere Forderungen gestellt.

Anders als im Inland gibt es im Ausland eine ganze Reihe von Gruppen, die das gesamte politische Spektrum von radikal links bis radikal rechts abdecken. Auf der linken Seite finden sich Splittergruppen, die aus Spaltungen kommunistischer oder sozialistischer Organisationen hervorgegangen sind. Die radikaleren unter ihnen, etwa die Kommunistische Arbeiterpartei, fordern den gewaltsamen Sturz des Regimes. Andere linke Organisationen betrachten die Reformbewegung als Vorbote auf dem friedlichen Weg zu einer demokratischen Gesellschaft. Auch die Republikaner, ein kürzlich gebildetes Sammelbecken ehemaliger Linker, Sozial- und Nationaldemokraten, haben etwa dieselbe Sichtweise.

Die größte Gruppe der Auslandsopposition bilden die Volksmudschaheddin, die einzige Organisation, die das Ziel hat, durch einen bewaffneten Kampf den Sturz des Regimes herbeizuführen. Die Volksmudschaheddin, deren Ideologie eine Mischung aus Islamismus und Stalinismus darstellt, gründeten Mitte der Achtzigerjahre im Irak mit militärischer und finanzieller Hilfe der Baath-Partei Stützpunkte. Von dort aus starteten sie Angriffe gegen iranische Grenzgebiete. Der Irakkrieg führte zur Auflösung dieser Stützpunkte. Auch eine Großrazzia der französischen Polizei gegen die nach Paris geflüchteten Führungskräfte der Organisation im Juni, die von den USA und der EU als terroristisch eingestuft wird, ist ein Schlag, von dem sich die Volksmudschaheddin so bald nicht erholen werden.

Die Favoriten der USA

Auf der rechten Seite stehen die Monarchisten um den Sohn des 1979 gestürzten Schahs, die sich hauptsächlich in den USA aufhalten. Sie erhalten aus Washington finanzielle und politische Unterstützung, verfügen über mehrere Fernseh- und Rundfunksender, die rund um die Uhr in persischer Sprache senden. Im Land verfügen sie über eine gewisse Basis – Grund genug für die USA, diese Gruppe als Alternative zu favorisieren.

Ob die Monarchisten jedoch im Inland über Mittel verfügen, um einen von den USA in Aussicht gestellten Volksaufstand zu organisieren, ist fraglich. Denn die Machthaber im Iran sind immer noch in der Lage, nicht nur die Armee und die Organisation der Revolutionswächter, sondern auch zahlreiche paramilitärische Organisationen gegen Demonstranten oder Aufständische einzusetzen.

Diese Schlägertruppen haben sich überall im Land im Geheimen organisiert und sind immer zur Stelle, wenn von der „spontanen Reaktion der Volksmassen“ die Rede ist. Sie stecken Zeitungsredaktionen und Verlage in Brand, sprengen Versammlungen, organisieren Massendemonstrationen, verfolgen oder ermorden Dissidenten. Sie verfügen über Ausbildungslager, Waffen und Geld. Ihre Auftraggeber finden sich in der iranischen Führungselite.

Die wichtigste Gruppe ist die Ansar-i-Hisbollah (Helfer der Partei Gottes). Die Organisation, die landesweit nahezu überall vertreten ist, bekennt sich ohne Einschränkung zum System des Welajat-i-Fakih. Sie fühlen sich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Wille des Revolutionsführers, den Gott für diese Aufgabe vorgesehen habe, durchgesetzt und jede Abweichung bekämpft wird. Die gewählten Vertreter des Volkes beziehen nach Meinung der Organisation ihre Existenzberechtigung nur daraus, dass sie die Anweisungen und Befehle des Revolutionsführers ausführen. Ansar-i-Hisbollah lehnt jede Art von Pluralismus ab. Selbst Meinungsunterschiede im Parlament müssen ihrer Ansicht nach unterbunden werden.

Kritischer 9. Juli

Der Hass gegen den Westen – ebenso wie der gegen Israel – gehört zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Ideologie der „Partei“. Kürzlich hat sie die Justiz aufgefordert, jeden, der Verhandlungen mit den USA vorschlägt, „hart zu bestrafen“, andernfalls werde sie selbst die Initiative ergreifen. Aus ihrer Sicht sind Reformisten, die eine Öffnung nach außen und innen anstreben, Kollaborateure der USA, Teil einer Verschwörung, die den Sturz des Gottesstaates zum Ziel hat.

Bei den Unruhen im Juni sind Schläger, im Volksmund „Zivilgekleidete“ genannt, gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen. Sie waren mit Messern, Ketten, Knüppeln und Spraydosen bewaffnet. Bei ihrem Überfall auf ein Studentenwohnheim haben sie zahlreiche Personen zum Teil schwer verletzt. Wie weit diese Schläger mit den „Anhängern der Partei Gottes“ identisch sind, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurden einige bekannte Anführer der Partei unter den Gewalttätern gesichtet.

Auch die Bassidschis, Mitglieder der Organisation für den Aufbau, die während des iranisch-irakischen Krieges und beim Wiederaufbau des Landes eine große Rolle gespielt hat, verfügen über Schlägertrupps. Sie sind offiziell an den Universitäten vertreten, werden bei der Aufnahme und bei Prüfungen bevorzugt und haben die Funktion, für Ordnung zu sorgen und die Sicherheitsorgane über die Vorgänge an den Universitäten zu informieren.

Neu ist, dass es bei den jüngsten Unruhen zwischen den verschiedenen Schlägertruppen zu Auseinandersetzungen gekommen ist. Die Bassidschis werfen den „Zivilgkleideten“ Vandalismus vor, und Ansar-i-Hisbollah empfiehlt, zwischen Studenten und Rowdys zu unterscheiden. Neu ist auch, dass die uniformierten Ordnungskräfte neben zahlreichen Studenten auch einige Schläger verhaftet haben. Ob dies Taktik ist oder Ausdruck einer sich abzeichnenden Spaltung innerhalb der Konservativen, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen.

Angesichts dieser Konstellation steht ein Regimewechsel im Iran wohl nicht unmittelbar bevor. Der 9. Juli kann nur ein Testfall sein, eine weitere Etappe im Zermürbungsprozess gegen einen Staat, den die Mehrheit des Volkes ablehnt. Der Jubel aus Washington über die Demonstrationen der letzten Wochen ist dabei wenig hilfreich. Er liefert den konservativen Machthabern die Handhabe, die Protestbewegung als amerikanische Intrige zu denunzieren. Das iranische Volk ist inzwischen reif genug, den Weg zu einer demokratischen Gesellschaft allein zu beschreiten.