„Sie sind da, das ist sehr schön“

Mutmaßliche Erfurter Prügelpolizisten erscheinen vor Hamburger Gericht – und zugleich als Opfer der Polizeihierarchie

Nachdem zwei Zivilpolizisten aus Schleswig-Holstein auf einer Hamburger Demo von Beamten einer Erfurter Spezialeinheit niedergeknüppelt worden waren, hatte Roland Richter den norddeutschen Kollegen im Namen der Erfurter Polizei zugesichert, alles zur Aufklärung der Vorwürfe beizutragen und dafür zu sorgen, „dass die Polizei in Thüringen nicht mauern wird“. Dann aber hat der Leitende Polizeidirektor versucht, in das Strafverfahren um die Misshandlungen einzugreifen – zugunsten der drei Angeklagten. Seine Fürsorge ging so weit, dass er bei seiner Aussage als Zeuge gestern vor dem Hamburger Amtsgericht von Richter Thomas Semprich immer wieder an seine Wahrheitspflicht erinnert werden musste.

Durch die Entlarvung der Aktivitäten des Polizeidirektors ist vor Gericht die paradoxe Situation eingetreten, dass über die Angeklagten zurzeit weniger als Täter und mehr als Opfer ihrer Hierarchie verhandelt wird. Denn die drei hatten sich mit ihrer Aussage zum Tatgeschehen selbst belastet – was die Verteidiger nun dem Polizeidirektor zuschieben wollen. Der hat offenbar die Verteidigungsstrategie mit den drei Beamten abgesprochen und auch auf deren Rechtsanwälte eingewirkt. Daran erinnern wollte er sich gestern freilich nicht. Richter will sich nicht einmal mit den Details des Prozesses befasst und die Angeklagten nicht einmal gefragt haben, ob sie bei jener Demo am 4. November in Hamburg „den Mehrzweckeinsatzstock in den Händen gehalten haben“.

Anwalt Jährig beweist das Gegenteil: Er hat einen Brief von sich an seinen Mandanten in der Akte des Polizeidirektors erspäht, als dieser darin blätterte. „Wie kommt der zu Ihren Unterlagen?“ Richter Semprich hat das Schreiben beschlagnahmt. Auch will Richter sich nur an zwei Anrufe bei Verteidiger Ulfert Jährig entsinnen. In dessen Büro war bereits gespottet worden, dass der Anwalt ob der ständigen Anrufe bald eine Standleitung nach Thüringen braucht.

Die Fürsorge des Polizeidirektors gegenüber seinen Untergebenen geht so weit, dass er ihnen auch im Falle einer Verurteilung seinen Schutz zugesagt hat. Sollten sie weniger als zwölf Monate Freiheitsstrafe bekommen, steht es dem Dienstherren frei, über eine Entlassung zu entscheiden. Polizeidirektor Richter hat den dreien aber bereits zugesichert, dass sie „keine zweite Strafe zu erwarten haben“, der Dienstherr „nicht auch noch mit dem großen Knüppel auf sie einschlagen wird“. Dabei, sagt Richter, „bin ich gegen Korpsgeist“.

In der vorigen Woche war bekannt geworden, dass Richter die Beamten auf eigene Initiative zu Amtsärzten geschickt hatte und wegen psychischer Belastung krankschreiben ließ (taz berichtete). Welche Anhaltspunkte er dafür hatte, dass die Angeklagten zur Gerichtsverhandlung nicht in der Lage waren? „Das sieht man ja schon, wenn man die Leute anschaut.“

Die waren gestern zum Prozess erschienen, nachdem Amtsrichter Semprich am vorigen Prozesstag Haftbefehl wegen Nichterscheinens erlassen hatte. „Sie sind da, das ist sehr schön“, begrüßte er sie. Und betonte, sie auch am kommenden Montag zu erwarten. Dann soll das Verfahren zu Ende gehen. ELKE SPANNER