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: Mit seinem Erstling „Hukkle“ foppt György Pálfi die Sehnerven

Schluckauf hat Onkel Ferenc Bandi von der ersten Einstellung bis zum letzten Ton, dem letzten „Hukkle“, des Films. Da bleibt dem alten Mann zu nichts anderem mehr Kraft, als sich auf die Bank vor seiner Hütte in die Sonne zu setzten und das Dorfsleben an sich vorbeiziehen zu lassen. Genau das tun die Zuschauer auch, und die Kamera rückt dabei allen Dorfbewohnern sehr eng an die Pelle, Tieren und Pflanzen genauso wie den Menschen.

Es gibt extrem raffiniert ausgetüftelte Aufnahmen in Maulwurfsgängen und Bienenstöcken à la „Mikrokosmos“, man sieht zehn Sekunden lang in einem Zeitraffer das Gras wachsen und hört es auch, denn der Regisseur György Pálfi hat sich mit dem Klang dieses Films mindestens soviel Mühe gegeben wie mit den Bildern. Deshalb kann er auch ganz auf Dialoge verzichten: das Knarren von Kutschrädern, unwilligesMurmeln von Dorffrauen oder dasBlubbern eines riesigen Karpfens im Teich sind beredt genug.

Zuerst scheint die Montage des Films freien Assoziationen zu folgen. Da wird von Tier auf Strauch auf Knecht geschnitten, von den Holzkugeln der auf dem Dorfsplatz kegelnden Männer auf eine extreme Nahaufnahmen der Hoden eines Ebers. Jede Einstellung bietet einen ungewöhnlichen Perspektivwechsel, jede Filmminute eine Überraschung. Aber wenn man sich nach einigen Minuten in diesen so ganz anderen Film hineingefunden hat, dann fallen irritierende Details auf: warum stecken die Frauen so verschwörerisch die Köpfe zusammen? Und warum pflückt einevon ihnen Maiglöckchen und braut daraus einen Trank, den sie in kleinen Fläschchen abfüllt und unter den Gattinnen, Mägden und Mädchen verteilt?

Langsam errät man, was da überhaupt gezeigt wird: das Kaleidoskop ist nicht nur schön bunt und vielfältig, sondern jede Einstellung erzählt auch äußerst geschickt eine Geschichte weiter. Immer nur mit Hinweisen, Andeutungen und Spuren, die aber nie zu offensichtlich gelegt sind. Der Zuschauer muss sich selber einen Sinn aus all den Eindrücken des Dorflebens machen. So entsteht eine ganz eigene Spannung.

Man ist dem Regisseur dankbar dafür, dass er eine gewissen Intelligenz beim Publikum voraussetzt, doch wenn man glaubt, ihm auf die Schliche gekommen zu sein, hat er noch ein paar Finten in Reserve. So verwandelt sich das zuerst so dokumentarisch wirkende Dorfportrait zu einem Thriller, um dann durch einen apokalyptisch wirkenden surrealen Effekt jede Genre-Eingrenzung hinter sich zu lassen. In „Hukkle“ gibt es zum Ende hin zwei grandiose Computeranimationen, die gerade weil sie so überraschend über ein kleines ungarisches Dorf kommen, so verblüffend sind, wie Hollywood es mit Blockbustern wie „Matrix Reloaded“ gerne wäre. Der junge ungarische Regisseur foppt in seinem Debüt das Publikum ständig und beweist, dass radikales, experimentelles Kino auch unterhaltsam, spannend, originell und komisch sein kann. Wilfried Hippen