Krise schlägt Krise

Zwei Bücher erinnern an jene gar nicht so ferne Zeit, in der junge und erfolgreiche Menschen sich plötzlich mit einem Übel wie der Quarterlife Crisis konfrontiert sahen

Erinnert sich noch jemand an die Quarterlife Crisis, die vor kurzem massenhaft junge, erfolgreiche 25- bis 30-Jährige in den reichen Industriestaaten befallen hatte, weil ihnen ihr sattes Leben mangels echter Herausforderungen sinnlos vorkam? Weil sie es so schwer hatten, erwachsen zu werden? Nein? Dann hilft jetzt Birgit Adams Buch „Quarterlife Crisis – Jung, erfolgreich, orientierungslos“, die Erinnerung an jene fetten Jahre zwischen 1997 und 2001 aufzufrischen.

Vor zwei Jahren veröffentlichten in den USA zwei smarte Mittzwanzigerinnen ihr Buch „Quarterlife Crisis – The Unique Challenges of Life in Your Twenties“ und lösten damit einen Medienhype aus, der es auch in die deutschen Feuilletons schaffte. Mittlerweile gibt es eine eigene Website und zahlreiche Selbsthilfegruppen zur Quarterlife Crisis. Ganz anders in Deutschland. Hier wurde die vorgezogene Midlife-Crisis nicht als persönliche Krise gedeutet, der man pragmatisch in Selbsthilfegruppen beikommen kann, sondern vielmehr in alteuropäischer Manier als dekadentes Lebensgefühl der Jeunesse dorée – womit die Wohlstandskinder der liberalen 68er gemeint waren; jene Kinder, die in ihrem Leben immer alles bekommen hatten und nie um etwas kämpfen mussten.

Doch schon heute scheint sich dieses Problem erledigt zu haben – der Krise sei Dank. Bestimmt zerbricht sich kaum jemand noch den Kopf darüber, wie er sein (Arbeits-)Leben am besten und mit der größtmöglichen Selbstentfaltung gestalten kann. Oder jammert darüber, dass der Übergang vom Jugendlichen- ins Erwachsenenleben ein Schock ist. Vielmehr setzt sich angesichts grassierender Arbeits- und Perspektivlosigkeit bei den Dreißigjährigen das Bewusstsein durch, den Lebensstandard der Eltern wohl nicht mehr erreichen zu können.

Bei Birgit Adam erfährt man nun, dass es unsere Eltern früher ja auch viel leichter hatten, sich in der Welt zurecht zu finden. Sie brauchten nur einen Job, um die Familie zu ernähren. Keine Rede von Selbstverwirklichung, Karrierestrategien und Auslandsaufenthalten. Wir dagegen haben geradezu ein Recht auf unsere Viertellebenskrise: „Während unsere Eltern bis heute ihren Jahresurlaub in Bibione verbringen, waren wir in Thailand und auf Bali, in New York und London sowieso. Wir hatten in unserem kurzen Leben schon mehr Jobs, als unsere Eltern je haben werden. Wir haben die verschiedensten Partner ausprobiert. Warum sollten wir dann nicht auch unsere Midlife Crisis früher bekommen?“

Angesichts solcher Neunzigerjahre-Anachronismen kann man nur sagen: Wie gut haben wir es doch jetzt wieder in Deutschland! Endlich brauchen wir nicht mehr bis zwei Uhr nachts in unseren Start-up-Unternehmen Tischtennis zu spielen! Endlich müssen wir nicht mehr vollgestopft mit Antidepressiva nach Bali und New York jetten! Endlich müssen wir uns nicht mehr den Kopf über unsere Karrieremöglichkeiten zerbrechen. Jetzt, wo alles wieder vorbei ist und New Economy und Spaßgesellschaft tot sind, kann man sich einfach wieder, wie damals unsere Eltern auch, um die ökonomische Zukunft sorgen und ganz in Ruhe erwachsen werden. Vielleicht sollte darüber mal jemand ein Buch schreiben.

SANDRA LÖHR

Birgit Adam: „Quarterlife Crisis – Jung, erfolgreich, orientierungslos“. Ariston Verlag, 2003; 187 S., 14,95 €; Alexandra Robbins, Abby Wilner: „Quarterlife Crisis – Die Sinnkrise der Mittzwanziger“. Aus dem Amerikanischen von Doris Mendlewitsch und Ute Diemer. Ullstein Verlag, 2003, 240 S., 16 €