Aus Freude am Photo-Shopping

Malen mit 150 Beats per Minute: Der Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt mit „pop reloaded“ den letzten Produktionsschub des vergangenen November verstorbenen Künstlers Michel Majerus, für den Trashästhetik und Stilbrüche ein großer Spaß waren

von HARALD FRICKE

New York, Mailand, London, Athen. Racing Cars, Waschmittelreklamen, Sven-Väth-Porträts, Nintendo-Games. Vom besetzten Haus 1993 bis zum italienischen Pavillon in Venedig auf der Biennale in sechs Jahren. Das waren die Neunziger, als einiges ging in Berlin-Mitte, zwischen Einfallswinkel Ost und Ausfallswinkel West. Michel Majerus gehörte zu dieser lose um Clubs und Off-Initiativen gestrickten Konstellation, in der sich künstlerische Produktion und Kommunikation von Moment zu Moment entwickeln konnten und nie Status quo werden wollten. Das spiegelt sich auch in seinen Motiven: Keine Grübelei über die Scheinhaftigkeit der Realität, und kein Suchen nach tieferer Wahrheit hinter den Zeichen. Jeder Stil ist willkommen, und Majerus hat Spaß dabei, wenn sich möglichst viele Codes vermischen.

Auf einem verwaschenen Bildgrund blitzen Buchstaben auf, wirbeln Wörter wie „express“, „shot“ oder „splash“ durcheinander, tauchen in quietschendes Gelb ab, ziehen jeansblaue Schlieren und graue Kringel über rosa Felder. Mal wird eine überdimensionale Videokassette ins Zentrum gesetzt, mal treffen Trash-Symbole auf schales Pastell, als wäre die Welt aus Ramsch. Die Arbeiten, die derzeit im Hamburger Bahnhof zu sehen sind, leben von der Freude an der Geschwindigkeit, mit der der 1967 in Esch geborene Maler die Bildarsenale von Werbeindustrie und Billiglabels plündert, am Computer staucht und mit Pop-Slogans kreuzt, bis sie als überlagernde Farbflächen auf der Leinwand landen. Die Nähe zur Technokultur ist gewollt, das merkt man schon im Vorraum der Ausstellung, wo auf einer Monitorwand der Name von Majerus mit reichlich Beats per Minute flimmert. Dass „pop reloaded“ in Berlin am Vorabend der Love Parade eröffnet, scheint gut ins Programm zu passen.

Leider hat Majerus diesen Triumph nicht mehr miterleben können. Im letzten November starb er bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg nach Luxemburg. Deshalb konnte auch sein ursprünglich für die „WerkRaum“-Reihe des Museums geplantes Projekt nicht realisiert werden. Er wollte digitale Vorlagen seiner neuen Arbeiten vor den Augen der Besucher mit einem Plotter ausdrucken: Kunstproduktion, live and direct. Das wäre auch ein ironischer Kommentar auf die Behäbigkeit gewesen, mit der im Hamburger Bahnhof zeitgenössische Kunst sonst verhandelt wird. Die „WerkRaum“-Reihe ist zwar ein Forum, wo Arbeiten von Sophie Calle oder Manfred Pernice und zuletzt Parastou Forouhars Auseinandersetzung mit dem iranischen Mullahregime zu sehen waren. Aber die meiste Zeit des Jahres ist das Haus geisterhaft leer, ein Mausoleum für die Sammlung des Immobilienhändlers Erich Marx. Warhols und Rauschenbergs stauben hier vor sich hin, auch da ist Majerus mit seinen nicht minder abgeklärt gestalteten Gegenstandshülsen, seiner „Bildaufbereitungsmaschine“, wie es der Kritiker Raimar Stange genannt hat, ein hübscher Kontrast zwischen logofizierter Gegenwart und der Pop-Art der Vergangenheit.

Dennoch hat Majerus bei aller Leichtigkeit, mit der sich die 18 extrem großformatigen Gemälde durch das Vokabular des Alltags zappen, immer auch Fallstricke gelegt. Plötzlich schimmert in den überbordenden Parolen und frivolen Fun-Szenarien eine beängstigende Ereignislosigkeit auf. Es gibt kein Geheimnis, keine Tür, hinter der sich irgendein Kontext versteckt: Majerus verschleißt nicht Inhalte, sondern Formen. So wie Warhol seine Images vom Filmstar bis zur Suppendose seriell abfertigte, verfährt Majerus überhaupt mit dem Fundus der neueren Kunstgeschichte – ein weiß abgeschabtes Rechteck à la Robert Ryman hier, ein bisschen Ellsworth-Kelly-Geometrie dort, der Nächste bitte. Diese Art der Desillusionierung am Material ist in den bis zu 4 mal 2,8 Meter großen Bildmassen schwer zu ertragen. New York, Mailand, London, Athen – die Gerölllawine, die Majerus mit seiner Produktion losgetreten hat, rollt unbeirrt weiter. Es heißt, er soll den Kunstbetrieb aus Messen und bilderhungrigen Sammlern nicht sonderlich gemocht haben. Bedient hat er ihn trotzdem, frei nach einem seiner Ausstellungstitel: „Sein Lieblingsthema war Sicherheit. Seine These – es gibt sie nicht.“

Bis 31. 8. Hamburger Bahnhof, Berlin