Im Reich der oralen Sodomie

Zwischen Berlin („Würg“) und Hamburg („Kotz“) ist ein Currywurstkrieg entbrannt

Es werden Legenden aufgetischt, deren Faktizität dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt

Wie alle großen und ernsthaften Übel dieser Welt, hat auch die Currywurst keinen eigentlichen Ursprung oder Erfinder, sondern ist von allem Anfang an bis heute ununterbrochen da gewesen. Karl dem Großen bammelte sie, wie zeitgenössische Torfstiche bezeugen, vorne aus der Joppe, Pilatus hatte sie sich, als er sich in aller Öffentlichkeit die Hände wusch, zwischen die blutigen Schenkel geklemmt, und schon Sappho besang sie in einer Ode als „interessante / Variante“.

Die Etymologie von „Currywurst“ geht denn auch zurück auf das Aramäische „chyrrae kukuck“, was laut Lutherbibel ein „fetter, ungenießbarer Schnodder“ ist, wörtlich aber mit „gepresste Kotze“ übersetzt werden muss. In der Ikonografie des Mittelalters legt sich die Currywurst mal um Mariens Haar, mal kommt sie im „Fingerzeig“ Gottes zum Ausdruck, immer aber deutet sie den Vollzug der oralen Sodomie an, wie Zeitzeugen belegen.

Umso ominöser erscheint deshalb der in den letzten Tagen zwischen Berlin und Hamburg entbrannte „Currywurstkrieg“ um die wahre Urheberschaft des Übels. In beiden Städten sind jetzt voneinander abweichende Gedenktafeln enthüllt worden, welche die zweifelhafte Ehre der Entdeckung des längst Bekannten für sich reklamieren und in die spätere Neuzeit verlegen. In der Charlottenburger Kaiser-Friedrich-Straße vermeldet seit neuestem eine Gedenktafel: „Hier befand sich der Imbissstand, in dem am 4. September 1949 Herta Heuwer – 30. Juni 1913 in Königsberg, 3. Juli 1999 in Berlin – die pikante Chillup-Sauce für die inzwischen weltweit bekannte Currywurst erfand. Ihre Idee ist Tradition und ewiger Genuss!“ Am Hamburger Großneumarkt hingegen ist seit einer Woche die Inschrift zu lesen: „Auf dem Großneumarkt stand die Imbiss-Bude, in der im Dezember 1946 Lena Brückner die legendäre Sauce zur heute weltweit bekannten Currywurst erfand. Wir Hamburger würdigen ihren kulinarischen Geniestreich bis in alle Zeiten.“

Zwei Frauen, kein Gedanke. Zweifellos stilvoller wäre es gewesen, wenn in Hamburg und Berlin Inschriften enthüllt worden wären, die ausdrücklich die Kreation der Currywurst zurückweisen und eventuell eine Bannmeile für den fetttriefenden Knorpelständer in Eigenblut-Ejakulat drei Seemeilen außerhalb von bewohntem Gelände anmahnen. Stattdessen werden Legenden aufgetischt, deren Faktizität dem sprichwörtlichen Fass die Krone ins Gesicht schlägt. Der Münchner (!) Schriftsteller Uwe Timm etwa fantasiert in seiner Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“, dass eine Hamburgerin, die diesmal als „Lea Brücker“ firmiert, „zwei Jahre nach Kriegsende“, 1947 also, auf einer Treppe, in der einen Hand den Curry, in der anderen den Ketchup balancierend, stolperte und so beide Zutaten im freien Fall vermengte. Die Wurst lag offenbar auf dem unteren Treppenabsatz parat. Gegen diese Treppensturz-These opponiert der Berliner „Currywurst-Experte“ Gert Rüdiger. Er vertritt die etwas romantischere Version einer Berliner Regennacht im Herbst 1949, in der die Wurstbude Hertha Heuwers unfrequentiert blieb. „Es goss“, erzählte ihm die vermeintliche Entdeckerin, „kleene Kinderköppe, kein Mensch war an meiner Bude. Aus Langeweile rührte ich Gewürze mit Tomatenmark zusammen. Und es schmeckte ganz herrlich.“

Unnötig, darauf hinzuweisen, dass der Coupletsänger Herbert Grönemeyer („Der Mensch isst Mensch“) bereits 1913 auf einer Schellackplatte sang: „Gehse inne Stadt / wat macht dich da satt / ne Currywurst.“ Müßig, zu erwähnen, dass die Menschheit alle Nase lang noch einmal entdeckt, was schon da ist – sei es das Schießpulver oder das Porzellan, sei es den Geschlechtsverkehr, die Armut oder eben die Wurstpampe.

Auch das Grillen ist keine neuzeitliche Erfindung, sondern war bereits in der Antike unter der Rubrik „Fleischopfer“ gang und gäbe. Zeitgenössische Fotos zeigen die Currywurst bei kretischen Fruchtbarkeitsritualen. Was aber jene „Kreation“ angeht, die den Deutschen nach Kriegsende auf dem Pappteller gereicht wurde, so sprechen Ethnologen von einem den Umständen geschuldeten „symbolischen Kannibalismus“. In der Not / schmeckt die Wurst auch ohne Brot. Und während sich die beiden Menschenfresserstädte Berlin und Hamburg streiten, wer die Blutlache erfand, beschäftigt die Wissenschaft längst eine andere Frage: Woher stammte die Wurst? RAYK WIELAND