Bombodrom kommt – irgendwann

Bürgerinitiativen starten heute mit Sommeraktionstagen gegen den Luft-Boden-Schießplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide. Klägeranwalt Geulen sieht „gute Chancen“. Ein Fehler im Struck-Bescheid könnte die Bombodromeröffnung verzögern

„Natürlich werden wir unsere Nato-Partner hier zum Üben einladen“

von NICOLAI KWASNIEWSKI

Es ist ruhig über den mecklenburgischen Seen. Auch die vielen Sommertouristen können den Frieden in der Kyritz-Ruppiner Heide nicht stören. Die meisten Einheimischen freuen sich über den Aufschwung, der mit den Urlaubern in die Region gekommen ist – der Aufschwung, der jetzt bedroht ist.

Auf Anordnung von Verteidigungsminister Struck wird am 18. August mit den Sommerferien in Brandenburg auch die Ruhe über der Heide zu Ende gehen. Dann sollen die ersten Tiefflieger über die Heide bei Wittstock fliegen und ihre Übungsmunition auf den größten Bombenabwurfplatz Westeuropas – das so genannte Bombodrom – werfen.

Die Bürgerinitiative „FREIe HEIDe“ hat deshalb zu „Sommeraktionstagen“ aufgerufen. Mit einem Camp am Rande des 142 Quadratkilometer großen Geländes soll von heute an bis zum 3. August gegen den Luft-Boden-Schießplatz protestiert werden, Aktionen zivilen Ungehorsams sind für die kommende Woche angekündigt. Die Bundeswehr hat vorsorglich „aus Sicherheitsgründen“ vor dem Betreten des Truppenübungsplatzes gewarnt.

1.700 Einsätze sollen jährlich über dem Bombodrom geflogen werden, 240 davon in der Nacht. Ausgenommen sind Wochenenden, Feiertage, die Sommerferien, Weihnachten und die Mittagszeit. Bis auf 150 Meter gehen die Bomber runter, jeder Einsatz bedeutet bis zu sechs Anflüge, insgesamt kommen so bis zu 10.000 Anflüge zusammen. Auf den anderen deutschen Luft-Boden-Schießplätzen im niedersächsischen Nordhorn und im bayerischen Siegenburg wurden in den letzten Jahren die per Nutzungskonzept vorgesehenen 4.200 Anflüge nicht annähernd erreicht. Winfried Nachtwei, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen, sieht deshalb auch keine Notwendigkeit für das Ost-Bombodrom. In einem Brief an Bundesverteidigungsminister Struck hält er „die Begründung für den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock für nicht tragfähig“.

Sinn machen die geplanten 1.700 Einsätze aber, wenn die Luftwaffe Übungsflüge aus dem Ausland nach Deutschland zurückverlagert und endlich auch Nato-Partner zum Abwerfen von Übungsbomben über der brandenburgischen Heide einladen kann. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, bestätigt das: „Natürlich werden auch andere Nato-Partner dazu eingeladen, hier zu üben. Schließlich üben wir auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Holland.“

In Nordostdeutschland formiert sich unterdessen eine seltene Allianz aus Bügerinitiativen, PDS, Grünen, SPD und sogar Teilen von CDU und FDP gegen den Übungsplatz. Zu Beginn der Proteste vor elf Jahren schrieb die Bundes-SPD einen Brief an den damaligen CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe. Darin heißt es: „Wir fordern den Verteidigungsminister auf, die in seinem Konzept vorgesehene Weiternutzung des Übungsplatzes Wittstock-Neuruppin aufzugeben. Wenn die Bundeswehr diesen Platz tatsächlich weiternutzen wird, so wird sie damit in den neuen Ländern den letzten Rest Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verlieren.“ Unterschrift: Peter Struck. Noch im Juli werden die ersten Klagen gegen den Bescheid des Verteidigungsministeriums eingereicht. Reiner Geulen, der seit 1993 als Anwalt die Klagen von Gemeinden, Bürgern und Naturschutzverbänden vertritt, ist optimistisch: „Wir sind sehr gut vorbereitet, unsere Erfolgsaussichten sind gut.“ Geulen freut sich über eine Lücke des Struck-Papiers: Da die Vollziehung des Bescheids darin nicht angeordnet wird, verzögert jede Klage die Aufnahme des Flugbetriebs.

Grundlage der Klagen ist die Einstufung der Region als Naturschutzgebiet nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH). Zwar hat die EU-Umweltkommission eine Beschwerde der Bürgerinitiative „Freier Himmel“ abschlägig beschieden. In dem Schreiben vom 12. Juni dieses Jahres heißt es aber, die Bundeswehr „beabsichtige nur, bis zu 161 Einsätze pro Jahr zu fliegen“. Woher diese Zahl kommt, ist schwer zu klären. Im Büro von EU-Referatsleiter Georges Kremlis heißt es, die Zahl sei „mündlich mitgeteilt worden“. Es könnte ein Missverständnis sein: Vor dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom Dezember 2000 hatte die Bundeswehr innerhalb weniger Monate ungefähr diese Zahl an Einsätzen geflogen. Vielleicht wurde das Missverständnis ganz bewusst in Kauf genommen.

Die Stimmen der Bombodrombefürworter sind im Chor der stetig wachsenden Zahl der Gegner kaum noch auszumachen. Gegen die Einbußen im Tourismusgeschäft erhoffen sie sich von der Öffnung des Platzes auch die Stationierung einer Garnison in Wittstock – und damit bis zu 600 zivile Arbeitsplätze. Über die Stationierung wird „nach Aufnahme des Flugbetriebs“ entschieden, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Soll heißen, erst wenn alle Klagen verhandelt worden sind – und das kann Jahre dauern. Wie viele zivile Arbeitsplätze wirklich entstehen, ist umstritten. Auch die Hoffnung, eine Garnison würde die Auftragsbücher der heimischen Bauunternehmen mit Bestellungen füllen, ist trügerisch. Bauaufträge dieser Größenordnung müssen EU-weit ausgeschrieben werden. Wenn die Garnison dann kommt, müssen dafür kleinere Standorte in Westdeutschland geschlossen werden. Und das wird neue Proteste in den betroffenen Regionen auslösen. Wie sagte Verteidungsminister Struck zum Widerstand gegen das Bombodrom: „Man kann nicht das eine ohne das andere haben.“