mein fast perfekter sommer (4)
: JUTTA HEESS über Frühsport

Vom Langschläfer zum Frühschwimmer – welch Karriere!

„Einmal Frühschwimmer, bitte.“ Es klingt schon so, als sei man hier irgendwie fehl am Platz: Frühschwimmer – eine Wortkreuzung aus Frührentner und Kampfschwimmer, aber eben zwei Euro billiger. Denn wer vor Viertel nach acht am Morgen im Berliner Prinzenbad aufkreuzt, zahlt nur die Hälfte – für eine Stunde Schwimmen. Klingt anstrengend, ist es auch, aber da das Schwimmbad in der Großstadthitze die einzige Abkühlung bereithält, habe auch ich mich der Sommerspezies Frühschwimmer angeschlossen. Zumindest gelegentlich.

Und ich bilde mir darauf was ein. Jeden Morgen habe ich mir den Goldenen Schwimmflügel oder wenigstens das Seepferdchen verdient, wenn ich vom Bett in die Badanstalt wechsle. Die Frage, warum es Badeanstalt heißt, kann ich jetzt übrigens beantworten: Ein bisschen wahnsinnig muss man schon sein, wenn man sich den Schlaf aus den Augen schwimmt.

Ich wundere mich jedes Mal, dass es so viele Gleichgesinnte gibt, die kurz nach Sonnenaufgang durchs kalte Wasser pflügen. Manchmal sieht es so aus, als sei das Ziel des Spiels, möglichst wenig Wasseroberfläche preiszugeben, alles mit Schwimmkörpern zu bedecken, damit der Bademeister trockenen Fußes das Becken überqueren kann. Ich warte ab, bis sich zufällig ein kleines Wasserloch vor meinem Startblock bildet, in das ich einzutauchen versuche.

Und dann, endlich, nach so vielen Überwindungen, wird das Unterfangen lobenswert. Ich setze die Chlorbrille auf, schwimme los – und denke an nichts mehr. Es ist, als würde das Wasser durch sämtliche Gehirnwindungen rauschen und alles rausspülen, was da nicht hingehört. Dann plätschern plötzlich zwischen all den Frühsportlern meine aussortierten Gedanken in den Abfluss und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Theoretisch könnte man beim Bahnenziehen auch mal ordentlich losheulen, ohne dass es jemand merkt. Hat uns ja Juliette Binoche in „Drei Farben: Blau“ vorgemacht. Aber eigentlich bin ich beim Schwimmen zu glücklich zum Weinen. Was bestimmt auch daran liegt, dass mich die Kraulerei so anstrengt und dieselben Hormone ausgeschüttet werden, die auch Marathonläufer immer so verzückt aus ihrem Leibchen gucken lassen.

Natürlich ist es nicht immer so harmonisch. Man stößt regelmäßig mit anderen Schwimmkanonen und solchen, die auf der Stelle eine Synchronfigur mit sich selbst üben, zusammen. Man hofft, dass die schwarzen Krümel auf dem Beckenboden nur Dreck sind. Und man stellt fest, wie leicht man sich in der Anstalt zum Deppen macht. „Hallo, ich habe dich gar nicht erkannt“, ruft ein Bekannter, als ich am Rand verschnaufe. „Du siehst nämlich aus, als hättest du Zöpfe.“ Ich patsche mir schnell mit den Händen die Frisur glatt. Und will nicht wissen, wie es aussieht, wenn halbmittellange nasse Haare rechts und links waagerecht vom Kopf abstehen. Aber Frühschwimmen härtet nun mal ab, in jeder Hinsicht. Probieren Sie’s mal – es ist noch nicht zu spät. Erst um Viertel nach acht.