„Ich nenne es strategische ödipale Fixierung“

Künstlerinnen, so die Kunsttheoretikerin Isabelle Graw, treten besonders stark in künstlerischen Bewegungen hervor, die durch ein festes Regelwerk geprägt sind. Ein Gespräch über Herdplatten und Macht, die Legitimität des Diebstahls und das Spiel mit der Rezeption

INTERVIEW VON BRIGITTE WERNEBURG

Isabelle Graw, Professorin für Kunsttheorie an der Städelschule in Frankfurt am Main, gründete 1990 mit Stefan Germer die Zeitschrift „Texte zur Kunst“, deren Herausgeberin sie ist. Soeben erschien im Dumont Verlag, Köln, ihr Buch „Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts“ (250 Seiten, 24,90 Euro).

taz.mag: Ihr Buch heißt „Die bessere Hälfte. Künstlerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts“. Was war – nach diesem provokativen Titel – Ihr Untersuchungsansatz?

Isabelle Graw: Meiner Meinung nach sind die Arbeiten von Künstlerinnen bislang nicht genug in Bezug zu den künstlerischen Konventionen gesetzt worden, die von ihnen selbst mitbestimmt werden und zu deren Entwicklung sie maßgeblich beigetragen haben. Pierre Bourdieu spricht von einem „Raum des Möglichen“, in dem Kunst entsteht. Ich denke, es ist notwendig, künstlerische Arbeiten in diesen „Raum des Möglichen“ einzutragen, in dem Handlungsmöglichkeiten zwar begrenzt sind, der aber gleichzeitig als offen und veränderbar zu begreifen ist. Normen fallen ja nicht vom Himmel. Sie sind sehr wirkungsmächtig, aber es gibt die Möglichkeit, sich in sie einzuklinken.

In diesem Sinne ist Ihr Buch ein Plädoyer, sich die Arbeiten von Künstlerinnen noch einmal genauer anzuschauen?

Es geht mir darum, neue Interpretationen anzubieten. Und, in einer Art Doppelbewegung, dieses Anschauen immer mit Informationen über das künstlerische Milieu zu verbinden, in dem diese Arbeiten zirkulierten, von dem sie angeregt wurden und das sie umgekehrt angeregt haben. Methodisch wollte ich Milieustudie und formal-ästhetische Analyse – etwa die Aufmerksamkeit eines Clement Greenberg für Oberfläche und Materialität – miteinander verbinden. Wobei Greenberg, der berühmte Kritiker und Förderer des Abstract Expressionism, in seinen Beschreibungen immer darauf zielte, zu bewerten und in Beziehung zu setzen. Jede Beschreibung soll auch bei mir ein Versuch sein, den Beziehungen nachzugehen, die sich in der Beschreibung selbst aufdrängen.

Sie geben dem Leser für diese neue Interpretation auch ein Instrumentarium an die Hand, indem Sie die künstlerische Methode der Aneignung genauer analysieren und auf die geradezu paradigmatische Stellung der Appropriation Art in den 80er Jahren für die künstlerische Arbeit von Frauen aufmerksam machen.

Schon ihrem Namen nach war die Appropriation Art die erste Bewegung, die eine künstlerische Praxis für legitim erklärte, die sich allein über Aneignung bestimmen sollte. Da zuvor Künstlerinnen historisch und institutionell einfach nicht dieselben Aneignungsgelegenheiten zur Verfügung standen wie Künstlern, ist der ganze Komplex der Aneignung von besonderer Virulenz.

Was wäre ein Beispiel?

Wenn eine Künstlerin wie Sherrie Levine ein berühmtes Foto von Walker Evans durch Abfotografieren eines seiner Ausstellungskataloge approprierte und für sich reklamierte, dann verband sich damit zweierlei: ein Effekt der Ersetzung und einer der Verschiebung. So, wie die Künstlerin sich gleichsam an die Stelle des von ihr approprierten Künstlers setzt und seinen Status für sich in Anspruch nimmt, wird seine Arbeit zugleich in einen anderen Kontext verschoben, wodurch sich deren ursprüngliche Bedeutung verschiebt. Das gilt es genau zu überprüfen. Während die Apologeten der Appropriation Art die Appropriation geradezu euphorisch zum Diebstahl überhöhten oder reflexhaft mit „Kritik“ gleichsetzten, kommt es mir auf die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Material an.

Auf die künstlerische Eigenständigkeit?

Genau. In den Arbeiten von Sherrie Levine lässt sich durchaus eine „eigene Ästhetik“ ausmachen. Das Klima für eine Kunst, die sich maßgeblich über Appropriation bestimmen sollte, hätte im New York der späten 70er- und frühen 80er-Jahre übrigens nicht günstiger sein können. Mit der Appropriation Art verband sich ein Kunstverständnis, das auch Ausdruck der damaligen Konjunktur von Postmoderne und Poststrukturalismus gewesen ist. Wohl nie zuvor hat es einen derart starken Austausch zwischen TheoretikerInnen und KünstlerInnen gegeben. Als Elaine Sturtevant in den 60er-Jahren einen eher nachvollziehenden Typus der Aneignung praktizierte, war sie noch auf großen Widerstand gestoßen.

Sturtevant war sehr dreist, als sie die Stars der damaligen Zeit – Warhol, Johns, Oldenburg – nachmalte. Man kann sich leicht vorstellen, wie verblüfft die Leute waren, als sie vor diesen Arbeiten standen.

Im Vergleich zu den Künstlerinnen der 80er-Jahre, die ich behandle, ist die eigene ästhetische Setzung bei Sturtevant in ihrer geradezu beflissenen Aneignungstechnik weniger stark ausgeprägt. Man könnte sagen, dass ihre Arbeiten tatsächlich in Aneignung aufgehen. Vielleicht reagierten die betroffenen Künstlerkollegen deshalb so vehement. Vielleicht war deren Kritik nicht nur phobische Abwehrreaktion, sondern in Teilen auch berechtigt?

Sie sprechen auch von einer Faszinationsbeziehung. Sturtevant verhält sich wie ein Fan. Diese Verhalten ist erstmals in den 60er-Jahren der Popkultur möglich, weil diese Fankultur, die sicher schon älter ist, erstmals Breitenwirkung zeigt.

Allerdings war der Kunstbetrieb durch seine noch immer bestehende Polarisierung von Hoch- und Massenkultur nicht in der Lage, diese produktive Rezeption des Fans anzuerkennen. Dreißig Jahre später wird das nicht mehr als uneigentliches Teenagerverhalten abgetan. Wenn man zum Beispiel an Cosima von Bonin denkt, die sich selbst als Fan deklarierte und zunächst als Fan an die Öffentlichkeit trat. Sie hat die Fanperspektive produktiv gemacht. Man sieht jetzt André Cadere und seine „Barres de Bois“, seine bemalten Holzstäbe, durch Cosima von Bonin. Und nicht Bonin etwa als Anhängsel von Cadere. Die Stäbe haben bei ihr eine „Wende ins Schlaffe“ erfahren. Sie schaffte es, Leute wie den dänischen Künstler Poul Gernes auf die Tagesordnung zu setzen, wobei ihre Arbeit von dieser „Entdeckung“ und der Integration seiner Ästhetik natürlich ebenso profitierte. Wenn man ins Netz schaut und den Namen Poul Gernes recherchiert, wird man ihn unter dem Namen Cosima von Bonin finden. Das ist bei Sturtevant und Jasper Johns natürlich nicht der Fall.

Anders als andere Kritiker heben Sie bei Cindy Sherman nicht so sehr auf die Motivik ihrer Arbeiten ab, auf die berühmten Medienbilder der Frau, die sie sich für ihre Fotoinszenierungen aneignete. Sie heben auf die Art und Weise ab, in der sie ihre Aneignung praktizierte. Sehen Sie darin die eigene Setzung, von der Sie sprachen?

Ja, es geht darum, einer Rezeption entgegenzusteuern, die das Besondere ihrer Arbeit immer nur im angeeigneten Gegenstand festmacht. Man konzentriert sich allein auf den Aspekt „Repräsentation von Frau“. Ich meine, es ist wesentlich festzustellen, dass Sherman auf der Ebene von Perspektive und von Materialität, aber auch in puncto Selbstdarstellung genuine ästhetische Setzungen vornimmt. Es ist falsch, ihrer Arbeit sofort eine theoretische Funktion zu unterstellen. Stattdessen ist es viel interessanter zu sagen: Hey, das ist Cindy Sherman, die sich hier zum Material ihrer Arbeit macht und damit das Risiko auf sich nimmt, welches mit dieser Selbstexponierung einhergeht. Es zeigt sich, dass ihre Arbeit viel der Performancekunst der 70er-Jahre verdankt, sie aber auch entscheidend – durch die Produktion verkäuflicher Bilder – erweitert. Dann stellt sich die Frage: Was heißt das? Was schließen wir daraus? Wobei ich nicht sagen möchte, wir hätten es hier mit der authentischen Sherman zu tun. Dennoch ist es ihr Körper, der zum Einsatz kommt.

Sind Sie damit nicht dem Philosophen und Kunsttheoretiker Arthur C. Danto sehr nahe? Ihm scheint über der Werkanalyse bei Sherman der Gedanke völlig abhanden zu kommen, dass sie als Künstlerin – und eben nicht als Künstler – in ihren Arbeiten dann doch die Rolle der Frau verhandelt, in der visuellen Repräsentation der Welt?

Ich würde Danto zugute halten, dass er zumindest auf der deskriptiven Ebene feststellt, dass hier jemand Spaß daran hat, sich zu verkleiden, und dass er nicht darüber hinwegsieht, dass er es mit einem Subjekt zu tun hat. Das Absehen von Geschlecht als einer analytischen Kategorie in der Auseinandersetzung mit Kunst halte ich nicht in jedem Fall für ein Problem. Das versuche ich auch in meinem Vorwort zu erklären. Warum ich nicht mit der Kategorie Geschlecht arbeite, warum ich das Frausein nicht als analytische Kategorie für die Interpretation von künstlerischen Arbeiten heranziehe. Ich denke nämlich, dass Geschlecht inzwischen zu einem Routinebegriff geworden ist. Zu einem Begriff, der mehr oder minder zur Verdinglichung der Geschlechterverhältnisse beiträgt. Mit meinem Buch versuche ich, aus dem Zirkelschlussdenken der feministischen Kunstgeschichte herauszutreten.

Will heißen?

Mit Zirkelschlussdenken meine ich ihre Tendenz, die Position „Frau“ explizit oder implizit zum Dreh- und Angelpunkt von Bildanalysen zu machen. Dies kann sich darin äußern, dass diese Position „Frau“ entwender aus der künstlerischen Arbeit abgeleitet oder von dieser repräsentiert gesehen, gleichsam in ihr „wiedergefunden“ wird. Das Problem ist nur, dass alle anderen Aspekte, etwa die dem Kunstwerk eingeschriebenen Anspielungen auf bestimmte ästhetische Konventionen, zu kurz kommen. Natürlich gibt es künstlerische Arbeiten, in denen Frausein explizit thematisiert wird. Ich habe mich nur mit wenigen Arbeiten dieser Art auseinander gesetzt, weil ich mein Thema darin sehe, mich mit Konventionen des Kunstbetriebs allgemein auseinander zu setzen.

Sie haben Werke analysiert, bei denen das Frausein Material der Kunst war. Die venezolanische Künstlerin Marisol hat schon in den 60er-Jahren ihren Körper und ihr Aussehen zu diesem Material gemacht. Doch offensichtlich nicht so verständlich, wie das Cindy Sherman gelang?

In den 60er- und 70er-Jahren haben sehr viele Frauen ihren Körper oder das ihnen zugeschriebene Aussehen ganz offensiv als künstlerisches Material verwendet. Marisol hat das in ihren Assemblagen gemacht. Allerdings in so hochgradig stilisierter Weise, dass ihr prompt der Vorwurf gemacht wurde, sie schlachte nur ihre Schönheit aus und versuche von der Faszination für ihr Äußeres in ihrer künstlerischen Arbeit zu profitieren. Niemand hat geschaut, was sie genau macht. Da, wo ihre Arbeit, wie ich finde, eine sehr interessante Fusion der unterschiedlichsten Richtungen wie Pop-Art, Folk-Art, Assemblage und Minimal Art darstellt, hat man immer nur darauf abgehoben, dass sie ihr Gesicht verwendet.

Apropos Pop-Art und andere Bewegungen: Sie formulieren die ziemlich starke These, dass Künstlerinnen vor allem dort auftauchten, wo die Vorgaben oder Regeln einer künstlerischen Bewegung sehr stark sind.

Es erstaunt tatsächlich, wenn man das 20. Jahrhundert betrachtet und feststellt, dass der Surrealismus, der Abstract Expressionism oder die Appropriation Art künstlerische Formationen sind, die – vor allem die ersten beiden – nicht gerade als frauenfreundlich gelten. Dennoch haben sich hier sehr viele Künstlerinnen erfolgreich betätigt. Dann schau ich mir die Pop-Art an und stelle fest, dass es hier nur sehr wenige Künstlerinnen gibt. In der Pop-Art war für Frauen eigentlich nur die Rolle der Muse oder des Models vorgesehen. Anders als bei den oben genannten Kunstrichtungen, zu denen noch die Minimal und die Concept-Art zu zählen wären, findet man bei der Pop-Art nur wenige Vorgaben, abgesehen von der Forderung nach Coolness und einer entsprechend distanzierten Haltung. Regelsysteme können ja ganz verschiedener Art sein. Es kann sich um explizit formulierte manifestartige Vorschriften handeln oder um unausgesprochene Vereinbarungen, um informelle Abmachungen oder programmatische Verlautbarungen dessen, was künstlerisch gewollt wird.

Vordergründig könnte man ja nun meinen, hier fände man ein typisch weibliches Verhalten, etwa unselbstständig zu arbeiten und sich an männliche Autorität anzulehnen?

Erst mal glaube ich, sich auf Vorbilder – und das sind immer noch eher männliche gewesen – zu beziehen, ist eine künstlerische Technik. Männer tun das genauso. Wenn Künstlerinnen nun Duchamp auffällig oft aufgesucht haben, dann deshalb, weil dieser Name in der Kunstgeschichte für einen paradigmatischen Einschnitt steht. Und wenn man sich zu so einer überdeterminierten Vorgabe ins Verhältnis setzt, ist das natürlich eine besondere Herausforderung. Ich habe in meiner Untersuchung den Begriff der strategischen oder gezielten ödipalen Fixierung eingeführt. Wenn Andrea Fraser zum Beispiel Martin Kippenberger – den Metakünstler par excellence – in einer Performance darstellt, dann geht es hier um diese strategische ödipale Fixierung. Sie tut dieser Vorlage ja auch etwas an. Aneignung im Sinne eines produktiven Missverständnisses ist ja ein Standard künstlerischen Verhaltens, das man nur für Künstlerinnen so selten konstatiert – eben aus der Angst heraus, sie zu bloßen Nachahmerinnen zu degradieren und zu diskriminieren.

Elaine de Kooning wischte einmal die Frage nach Diskriminierung mit der Bemerkung vom Tisch, solange man im bedeutendsten Kunstzentrum der Welt lebe, könne einem nichts passieren. Obwohl Sie diese Idee in Ihrem Kapitel „Frauen am Machtpol“ aufnehmen, scheinen Sie de Kooning widerlegen zu wollen?

Ich hatte Lust, dieses Kapitel gleich mit einer Art Zurücknahme zu beginnen, indem ich sage, es geht mir nicht darum, die normative Behauptung aufzustellen: „Geht vor Ort oder lasst es bleiben.“ Den Begriff Machtpol habe ich Klaus Theweleit entlehnt. Um künstlerische Arbeiten sinnvoll interpretieren zu können, ist es hilfreich, sie zu verorten. Natürlich sind diese Orte in sich heterogen, und jedes Kunstzentrum bildet Peripherien heraus. Es gibt keine Garantie, dass man durch den Aufenthalt an einem solchen Ort vor Missachtung gefeit wäre. Man glaubt, man sei am Nabel der Welt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort und mische überall mit. Tatsächlich aber wird einem die Form von künstlerischer, institutioneller und vor allem ökonomischer Anerkennung, die man gerne hätte, aus Gründen, die sich nur annährend aufdröseln lassen, vorenthalten.

Das heißt für Elaine de Kooning?

Bei ihr lassen sich vielfältige Widerstände sehr gut zeigen. Zunächst einmal wegen ihres scheinbar übermächtigen Ehemanns Willem de Kooning. Und dann wegen ihrer kunstkritischen Aktivitäten. Diese Zweigleisigkeit – dass sie einerseits Propagandistin der „Linie de Kooning“ und eines bestimmten Verständnisses von Action Painting war und andererseits selbst malt – war kontraproduktiv. Erst recht, weil ihre Bilder gegen Greenbergs Primat der Abstraktion verstießen und sogar gegen das verstießen, was Willem wollte, indem sie sich ausgerechnet auf das Genre des Porträts kaprizierte und darauf beharrte, bei der Figuration zu bleiben. So fielen ihre Bilder zu der Zeit aus dem Wertehorizont des Kunstbetriebs heraus.

Sie arbeiten in Ihrem Buch mit Fallbeispielen. Wie konstituiert Sarah Morris sich am Machtpol?

Mich interessierte, wie sie in ihrer Arbeit eine bestimmte Corporate Architecture an den Orten der Macht zum Ausgangspunkt für Abstraktion nimmt, für einen bestimmten Typus des Rasterbildes. Es ist auffällig, dass sich gerade Künstlerinnen immer wieder am Raster orientieren und abarbeiten. Worin besteht die Attraktion dieser genuin modernistischen Figur für Künstlerinnen? Morris’ Bilder glänzen auf eine Weise, die dem „Glamour“ der Macht zu entsprechen scheint. Trotzdem gibt es in ihnen ein Moment von Abgründigkeit, was an der extremen Flachheit der Bildoberfläche liegt. Ihre Arbeiten scheinen den Beweis dafür anzutreten, dass es unmöglich ist, sich distanziert mit Macht und den Orten der Macht auseinander zu setzen. Man ist immer in sie verstrickt, was nicht heißt, dass man nichts über sie aussagen könnte.

Sarah Morris ist wie die anderen Künstlerinnen, die Sie genauer untersuchen, eine so genannte Ausnahmefrau. Wie sieht es mit ihrer britischen Kollegin Sarah Lucas aus, die zu den „Young British Artists“ gerechnet wird? Immerhin fielen die YBA von Anfang an dadurch auf, dass viele Frauen dabei waren und dass sich die Frauen selbst wieder als Gruppe verstanden.

Die Künstlerinnen, die der Brit-Art zugerechnet werden, sind symptomatisch für eine Entwicklung, die ich mit dem „Ende der Ausnahmefrau“ umschreibe. Damit meine ich, dass es spätestens seit der Appropriation Art mehrere Künstlerinnen pro Formation gibt, die auch in ökonomischer Hinsicht als erfolgreich gelten. Setzt man sich mit den künstlerischen Arbeiten von Sarah Lucas und Tracey Emin auseinander, ist es interessant zu sehen, dass sie sich in hohem Maße aus Inszenierungen speisen, wenn sie nicht sogar in Inszenierung aufgehen. Es scheint, als würde das Ende der Ausnahmefrau in diesen Fällen mit der Rückkehr des „authentischen Künstlersubjekts“ bezahlt.

Viele Sammler, etwa die, die sonst die Gruppe der Wild Boys wie Kippenberger, Mike Kelley, Paul McCarthy, John Bock oder Jonathan Meese kaufen, glauben aber an dieses authentische Künstlersubjekt. Es ist nicht aus der Rezeption verschwunden. Kann man das den Künstlerinnen vorwerfen?

Mich interessiert es immer, wenn Künstlerinnen auf ihre Rezeption reagieren, sie unterminieren – was ich bei Sarah Lucas oder Tracey Emin nicht sehe. Da sehe ich nur endloses Nocheinsdraufsetzen. Sie bleiben auf der gleichen Schiene und bedienen das Stereotyp. Rosemarie Trockel interessiert mich eben deshalb, weil ihre Arbeiten der Rezeption entgegensteuern oder sie verkomplizieren. Das vermag zwar letztlich nichts an der klischeehaften Rezeption zu ändern. Doch weil die Arbeiten selbst suggerieren, sie machten sich über eine bestimmte Rezeption lustig, finde ich das interessanter, als wenn ungebrochen das Klischee bedient wird.

Inwiefern steuert Rosemarie Trockel gegen das Rezeptionsklischee?

Da ist die Art und Weise, wie ihr Markenzeichen – die Herdplatte – auch in ihrer künstlerischen Produktion inflationär zum Einsatz kommt. Es wird bis zur Kreisform variiert und kann zu Toroni-artigen Wandmalereien führen.

Die Herdplatte ist natürlich auch wieder das Raster.

Ich finde es extrem gewitzt, wie sie dieses Motiv überspannt und ausreizt. Oder bei den Strickbildern, die in einem ihrer Filme reichlich plump aufgelöst wurden, in dem sich der Pullover an einem Modell aufrippelt. Die Arbeit kann sich selbst auf diese Weise den Boden unter den Füßen wegziehen oder den umgekehrten Weg der Entleerung qua Übertreibung gehen.

Für den Kampf mit der Rezeption scheint Ihnen Bridget Riley, die gerade in der Tate Britain eine Einzelausstellung hat, das Paradebeispiel zu sein. Als sehr junge Künstlerin wurde sie unter dem Label Op-Art, das ihr nicht passte, sehr hoch gehandelt.

Das ist schon ein bisschen meine Interpretation, meine Zuspitzung. Auffällig ist allerdings, dass in zahlreichen Katalogtexten über Riley – und bei deren Auswahl mischen Künstlerinnen ja mit – versucht wird, dieses Etikett, dass sie Vorreiterin der Op-Art wäre, zu relativieren. Riley selbst schrieb auch ein berühmtes Manifest, in dem sie sich von der Op-Art distanzierte. Ich finde das interessant in Hinblick auf diese High/ Low-Differenz. Sie wollte als modernistische Malerin gelten, zu einem Zeitpunkt – 1965 –, als dieser Anspruch es ausschloss, dass man gleichzeitig Fashion-Vorbild oder Pop-Ikone war. Das ging nicht zusammen. Doch Riley wollte als Malerin anerkannt werden. Nur hatte ein New Yorker Modedesigner ihre patterns als Stoffvorlage benutzt, und die Lifestylepresse stürzte sich auf sie. Deshalb ließ Clement Greenberg sie links liegen, was in der Riley-Rezeption bis heute als stummer Bannfluch interpretiert wird. Mich interessieren die Maßnahmen, die Riley selbst und die Riley-Rezeption getroffen haben, um sie als seriöse Malerin zu etablieren. Das geht bis hin zur Verbreitung der Legende, dass Riley selbst das Blättern in Hochglanzmagazinen um jeden Preis vermeiden würde …

Themenwechsel. Ausnahmefrauen, so scheint es, sind Frauen ohne Kind?

Da muss ich stutzen. Warum soll sich die Kindfrage überhaupt stellen? Ist es nicht vollkommen irrelevant – jedenfalls für die Interpretation einer künstlerischen Arbeit –, ob eine Künstlerin Mutter ist? Es sei denn, diese Mutterschaft wird zum Thema, wie bei Mary Kelly, die diesen „subjektiven Zustand“ zu objektivieren suchte. In dieser scheinbar neutralen Bemerkung schwingt außerdem latent der Vorwurf mit, „Ausnahmefrauen“ würden ihrer „Reproduktionspflicht“ nicht nachkommen. Einmal abgesehen davon, dass „Frausein“ nicht automatisch „Mutterschaft“ impliziert, haben einige der von mir behandelten Künstlerinnen durchaus Kinder – Sarah Morris hat einen kleinen Sohn und Katharina Sieverding hat drei Kinder.

Die Ausnahme von der Ausnahme?

Dass die anderen Künstlerinnen keine Kinder haben, hat neben individuellen natürlich auch strukturelle Gründe: Es war bis in die 80er-Jahre hinein einfach schwer vorstellbar, dass man sich der eigenen Arbeit in derselben Weise verschreiben und Kinder haben könnte. Ich denke jedoch, dass sich diesbezüglich derzeit viel ändert. Wenn Künstlerinnen in finanziellen oder/und persönlichen Verhältnissen leben, die sicherstellen, dass die Arbeit fortgeführt werden kann, dann entscheiden sie sich in der Regel dafür. Während es früher genügte, ein Kind zu haben, um vom Kunstbetrieb abgeschrieben zu werden, wird das Kind heute tendenziell als zusätzliche „Leistung“ betrachtet, die das Bild der Künstlerin nicht etwa radikal gefährdet, sondern auf eine Weise verändert, die als interessant empfunden wird.

Die Ausnahmefrau als Überfrau?

Wenn ich mit der Figur der Ausnahmefrau arbeite, dann aufgrund der ihr zugrunde liegenden doppelten Relation: zur Regel und zu den anderen Frauen, von denen sich die zur Ausnahmefrau Gekürte ja abheben soll. Somit wäre die „Ausnahmefrau-Künstlerin“ noch mehr Ausnahme, als es der Künstler nach der alten Vorstellung des Ausnahmekünstler-Genies ohnehin schon ist. Das heißt aber auch, dass sich die Ausnahmefrau-Künstlerin, um diesem Status gerecht zu werden, ihrer Sache auf absolute Weise zu verschreiben hat. Für die Künstlerinnen, über die ich schreibe, ist der Übergang zwischen Freizeit und Arbeit immer fließend gewesen. Auch für mich übrigens. Schon auf der imaginären Ebene war es deshalb für die Künstlerinnen meiner Generation schwer vorstellbar, auch noch ein Kind zu haben. Hätte dies nicht das eigene Selbstverständnis und die dafür ja zentrale Bedeutung der Arbeit gefährdet? Das ändert sich aber auch gerade.

BRIGITTE WERNEBURG ist Kunstredakteurin der taz