„FAZ“ WIRBT FÜR ROLAND KOCH. GANZ UNEIGENNÜTZIG TUT SIE DAS NICHT
: Frankfurter Belcanto

Die bedeutungsvolleren Leitartikel, das sprach sich in der Republik herum, sind in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nicht auf Seite eins der Politik, sondern der Aufschlagseite des Feuilletons zu suchen, zumal wenn der Prinzipal der Kulturschaffenden in Person an die Rampe tritt. Am Freitag vergangener Woche verkündete er in einer Bravourarie mit rhetorischem Schmiss, gleißendem Pathos und herzebewegendem Tremolo, auf wen die Deutschen von nun an ihre Hoffnung zu werfen haben: Roland Koch, den Hessen-Heros, der ein Ludwig Erhard redivivus zu werden verspricht, wenn sich Frank Schirrmachers leuchtende Visionen erfüllen. Er ist der Mann der FAZ. Der Mitherausgeber, den wir künftig besser den Hauptherausgeber nennen, lässt daran keinen Zweifel.

Denn Roland Koch, der Erkorene, sprach wenigstens acht Mal den „schlichten Satz“, der Schirrmacher elektrisierte: dass Deutschland „in das schwierigste Halbjahr seiner Geschichte seit 1948“ gehe. Der Hauptherausgeber, das Ohr am Boden, hörte hinter der Schlichtheit das Raunen des Schicksals, ja das Rauschen epochaler Umwälzungen: „Man soll nicht glauben, Kochs Prognose sei Kochs Polemik. Faktisch steht die Verfassungsmäßigkeit des hessischen Haushalts auf dem Spiel. Metafaktisch“ – welcher Glanz dem Worte innewohnt! – „metafaktisch geht es um die Reformfähigkeit des Systems. Und deshalb tun Kochs Freunde und Gegner gut daran, hier ein Meisterstück politischer Theologie zu bestaunen …“

Angela Merkel, „die amtierende Vorsitzende“, kann (obschon Pastorentochter) keinesfalls mithalten, das ist offensichtlich. Die Arme sieht sich mit der Anmerkung abgefertigt, dass sie der „CDU-Mythenwelt“, in deren Mitte der schneidige Roland zu Haus ist, „nur beigetreten ist“ – als DDR-Gewächs zu einem Außenseitergeschick verurteilt, wie hingebungsvoll sie auch dem Ziehvater Helmut Kohl als „das Mädchen“ gedient haben mag (bis, nach dem Spendenskandal, plötzlich Schluss war mit der Hingabe). Edmund Stoiber wiederum findet keine Erwähnung: Seiner öffentlichen Rügen für Roland wegen ist er vermutlich nicht länger satisfaktionsfähig. Außerdem taugt die machtgestählte bajuwarische Büroklammer nicht so recht fürs Mythische. „Beiträge zur Revision der politischen Mythologie“ würden „gegenwärtig von allen Seiten eingereicht“, ruft uns der Großfürst des deutschen Feuilletons zu, „aber Kochs ‚Agenda 1948‘ hat das Zeug zur Größe.“ Er formuliere „ein nationales Desaster und eine nationale Aufgabe“.

Wie 1948? Meint Koch, der Kämpfer für unsere Kinder (von denen wir „die Erde nur geliehen haben“), die Währungsreform, die mit einem Zauberschlag das Schuldengebirge des gescheiterten Reiches tilgte (und die Sparguthaben von 45,2 Milliarden Mark auf 2,2 Milliarden reduzierte)? Was sagt das, wenn denn irgendetwas, über die wachsende Last der öffentlichen Verschuldung? Will er die viereinhalb Millionen Arbeitslosen mit den zwölf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen von damals vergleichen? Die Pleitewelle mit den Demontagen? Der große Roland (Jahrgang 1958) und sein grandioser Prophet (Jahrgang 1959) hatten, dank Kohls Gnade der späten Geburt, das Glück, 1948 noch nicht in unserer Mitte zu weilen. Vielleicht haben sie darum die Unvergleichbarkeit der Verhältnisse nicht allzu genau im Blick. Auch die Rolle Ludwig Erhards sehen sie eher verschleiert. Der Mann mit der Zigarre und dem gemütlich-altfränkischen Zungenschlag deckte mit seinem Namen in der Tat den radikalen Währungsschnitt, der in Wahrheit das Werk einiger brillanter Köpfe in der US-Militärverwaltung gewesen ist. Er wagte, Schritt um Schritt, den Verzicht auf die Bewirtschaftung des Mangels. Behutsam setzte er den Markt in Kraft und bahnte einer – limitierten – Gewerbefreiheit den Weg, obschon auch er an die überkommene Zukunftsordnung der Handwerkskammern und Meisterbriefe nicht zu rühren wagte – die Zöpfe, die Roland Koch, trotz des Protestgeheuls seiner Parteifreunde, endlich abschneiden würde, ja oder nein? Im Übrigen wollte sich Erhard Europa nur als einen Zollverein denken. Der bloße Gedanke an den Euro hätte den wackeren Nationalbürger bis ins treudeutsche Mark erschüttert.

Was hat unsere Lage mit der Deutschlands im Jahre 1948 gemein? „Nationales Desaster“. „Nationale Aufgabe“: Das haut sich rasch in den Laptop. Wie auch, dass Roland Koch mit seiner Parole „einen kulturellen Anspruch angemeldet“ habe. Heiße Luft, das eine wie das andere. Großmäulerei. Geschwätz. Außerdem, was den FAZ-Hauptherausgeber angeht, der schiere Ranschmiss. Man sagt, er schiele auf das Amt des Kulturstaatsministers beim künftigen Kanzler Koch. Vielleicht auch nur auf die Landesbürgschaft, wie sie der Frankfurter Rundschau – ein kluger Schachzug des Regierungschefs – in der Stunde höchster Not zuteil geworden ist. KLAUS HARPPRECHT

Seit 55 Jahren Journalist, u. a. bei der Zeit