„Die Armut in Deutschland wird wachsen“

Kinder und Sozialhilfeempfänger profitieren, Frauen verlieren eher bei dieser Reform, meint AWO-Sozialreferent Apostolos Tsalastras

taz: Eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“, das klingt eigentlich nicht schlecht, oder?

Apostolos Tsalastras: Der Entwurf hat in der Tat Licht- und Schattenseiten. Dass erwerbsfähige Sozialhilfebezieher jetzt in Eingliederungshilfen des Arbeitsamtes einbezogen sind, ist gut. Dagegen steht, dass bisherige Arbeitslosenhilfebezieher finanziell erheblich schlechter gestellt werden. Die Armut in Deutschland wird wachsen, wenn die Integration in Arbeit nicht gelingt.

Diese neuen Armen sollen mehr dazuverdienen können als bisher.

Das lohnt sich erst für Familien mit mehreren Kindern. Wer allein ist oder nur ein Kind hat, kann nicht mehr zuverdienen als bisher. Erst mit mehreren Kindern summiert sich der Zuverdienst auf einen attraktiven Betrag. Vor allem, da man für diese auch den neuen Kinderzuschlag bezieht.

Den Zuschlag zum Kindergeld sollen nur arbeitende Arme bekommen. Reicht Ihnen das?

Ich finde es gut, wenn man nicht alle Ressourcen in das Kindergeld steckt. Man weiß nicht, ob es wirklich den Kindern zugute kommt. Wenn also ein Teil des Geldes auch in Bildung und Kinderbetreuung fließt, ist das plausibel.

„Die Gesetzesänderungen haben keine Auswirkungen auf die Gleichstellung“, heißt es so schön am Schluss des Entwurfes. Stimmt das?

Das ist Quatsch. Sie haben indirekte Auswirkungen: Frauen verdienen im Schnitt 25 Prozent weniger als Männer. Wenn sie arbeitslos werden, wird das Einkommen des Partners angerechnet, und zwar stärker als bisher. Sie bekommen also wenig bis nichts an Arbeitslosengeld II. Das ist einerseits verständlich, weil die arbeitslose Zahnarztgattin objektiv keine Leistungen braucht. Für sie werden andererseits aber auch keine Rentenbeiträge mehr entrichtet. Gutverdiener können das durch private Vorsorge ausgleichen, Schlechtverdiener nicht. Diese Frauen fliegen aus der sozialen Sicherung heraus. Offen ist auch, ob ihrem Anspruch auf Eingliederungsleistungen entsprochen wird. Sie kosten ja nichts und könnten deshalb leicht vergessen werden.

Die Grünen haben vorgeschlagen, die Rentenanwartschaften des Partners, der etwas verdient, zu „splitten“, auf beide zu verteilen.

Ideologisch finde ich diese Forderung richtig. Das Problem ist, dass viele Frauen, die Witwenrente bekommen, mit einem Splitting weniger Rente bekämen. Man müsste also sehr lange Übergangszeiten einführen, damit sich Paare schon heute darauf einstellen können.

Der Gesetzentwurf sieht eine Arbeitspflicht, konkret für unter 25-Jährige, vor. Wie bewerten Sie das?

Wenn das bedeutete, dass man damit das Recht auf einen Eingliederungsplan hätte, dessen Sinnhaftigkeit man einfordern kann, dann könnte man damit leben. Wenn aber Arbeitspflicht heißt: Parkwege fegen, dann kommen die Leute nicht mehr wieder, und dann fliegen sie aus dem Leistungsbezug raus. Das wäre eine Katastrophe.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH