kucken se ma: auf bremens leinwand
: „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ von Karan Johar

Westliche Kitschsensoren im Härtetest

Bei einer Spieldauer von drei Stunden und 40 Minuten kann ein Film nur ein Epos oder eine Orgie sein. Und episch wirkt der indische Blockbuster „Kabhi Khushi Kabhie Gham“ nun ganz gewiss nicht, den Plot kann man in zwei Sätzen erzählen: Der strenge Patriarch einer Familie verstösst einen seiner Söhne, weil dieser gegen seinen Willen heiratet. Jahre später versucht der jüngere Sohn alles, um beide wieder zu versöhnen.

Eine Orgie also, allerdings eine keusche, denn im Bollywoodkino ist immer noch jeder Kuss auf den Mund tabu. Dafür suhlt sich der Film hemmungslos in glücklichem Lächeln und Tränen – so viel wie im indischen Kino werden die Menschen (vor und auf der Leinwand) sonst wohl nirgendwo auf der Erde weinen, und „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ versucht auch in der Produktion von Tränen jeden Rekord der indischen Filmindustrie zu brechen. Zuerst fallen einem noch solche Sätze wie „Seine kleinen Fußstapfen prägten sich tief in unsere Herzen ein!“ auf, doch bald schon schalten sich die westlich geprägten Kitschsensoren wegen Überlastung ab.

Das indische Kommerzkino funktioniert nach ganz anderen Regeln als sein westliche Pendant: Es steht eher in der Tradition der indischen Heiligenlegenden als in der des Gernekinos. Die Protagonisten werden hier wie Halbgötter gezeichnet, deswegen sind viele SchauspielerInnen auch für unsere Augen so übertrieben ebenmässig schön. Und so ist es überhaupt nicht ironisch, wenn in „SHSS“ jeder zornige Ausruf des Patriarchen mit bedrohlichem, himmlischem Donnern untermalt wird.

Auch die vielen logischen Ungereimtheiten des Films (an denen unsereins sein helles Vergnügen hat) basieren nicht etwa auf dem Unvermögen der Filmemacher, sondern diese pfeifen offensichtlich einfach drauf. So werden etwa in einer Rückblende, die mindestens zehn Jahre in die Vergangenheit geht, die gleichen Handies, Internetanschlüsse, Modeartikel und Autos benutzt wie auf der extra in einem Zwischentitel als „present time“ unterschiedenen Zeitebene des restlichen Films. Die Außenaufnahmen von einer angeblich feudalen Villa in Indien sind eindeutig im schön grünen England aufgenommen worden, und in einem verwegenen Gegenschnitt werden Tänzer aus einem indischen Straßenfest direkt vor die ägyptischen Pyramiden transportiert. Die Surrealisten von Indien arbeiten offensichtlich alle in den Studios von Bollywood.

Und bei diesem Film durften sie am heftigsten hinlangen! Wenn in Hollywood Steven Spielberg in einem Film Julia Roberts, Bratt Pitt, Hugh Grant, Meryl Streep und Al Pacino zusammenbringen würde, dann wäre das etwa das Starpotenzial, das mit „SHSS“ auf das indische Kinopublikum losgelassen wird. Neben dem zu erwartenden Erfolg dort lief der Film auch überraschend gut in Großbritannien und den USA.

Die Tanzproduktionen (mindestens drei pro Akt sind in Bollywood absolute Pflicht) sind aber auch zu schön – eine der Heldinnen tanzt sogar dank Computertrick gleich zweimal im gleichen Bild. Filme wie „Chicago“ oder „Moulin Rouge“, die eindeutig vom indischen Kommerzkino beeinflusst sind, wirken im Vergleich dann doch ziemlich fußlahm.

In „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ ist alles bombastisch, prall, überbordend. Man hat seinen Spass, auch wenn es einen nicht, wie Millionen andere, zu Tränen rührt. Kuckenswert ist der Film alleine schon wegen der Sängerin, die sprachlich etwas überfordert zum Geburtstag „Happy Birdsday“ intoniert. Wilfried Hippen

„Sometimes Happy – Sometimes Sad“: bis 12.8. in der Originalfassung mit Untertiteln im Kino 46, 20.30 Uhr