Tödliche Schlägerei im Flüchtlingslager

Nach dem Tod eines Tschetschenen bei Wien kritisieren Experten unzureichende Betreuung durch Privatbetreiber

WIEN taz ■ Tschetschenienkrieg in Traiskirchen bei Wien. Ein 24-jähriger tschetschenischer Flüchtling erlag Sonntag seinen Kopfverletzungen, die er sich am Vorabend bei einer Massenschlägerei im Flüchtlingslager zugezogen hatte. Laut Angaben der Polizei hatten sich rund 50 Moldawier mit etwa doppelt so vielen Tschetschenen mit Holzteilen aber auch Eisenstangen geprügelt. Auslöser des Streits sollen moldawische Kinder gewesen sein, über deren Lärm sich die Tschetschenen beklagt hatten.

Eine Hundertschaft Polizei- und Gendarmeriebeamte samt Diensthunden rückte ein, um die Gruppen zu trennen. Zwölf Schwerverletzte mussten mit Kopfverletzungen und Knochenbrüchen in Krankenhäusern versorgt werden. Drei Moldawier wurden festgenommen, die anderen ins Lager Thalham in Oberösterreich verlegt. Dort lebende Tschetschenen sollen Racheakte für den erschlagenen Landsmann planen.

Die Hitze sei schuld, dass die Menschen so leicht überkochen, hieß es aus dem Innenministerium. Für die Hilfswerke ist der Zwischenfall aber der Beweis für das Scheitern der Privatisierungspolitik von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP). Seit dem 1. Juli ist für die Betreuung der rund 800 Asylbewerber im Lager Traiskirchen die deutsche Firma European Home Care zuständig. Mit einem Angebot von 12,90 Euro pro Tag und Flüchtling hatte sie alle Mitbewerber aus dem Rennen geworfen, als Strasser im Februar die Betreuung von Asylbewerbern ausschreiben ließ.

Die katholische Caritas, die evangelische Diakonie und das Hilfswerk SOS-Mitmensch, die seit Jahren in der Flüchtlingsbetreuung tätig sind, hielten solche Dumpingpreise für unverantwortlich und sehen sich jetzt in ihren Befürchtungen bestätigt. Sie forderten gestern, den tragischen Zwischenfall zum Anlass für die Verbesserung der Flüchtlingsbetreuung zu nehmen. Michael Chalupka, Direktor der Diakonie, kritisiert am Ist-Zustand vor allem den Mangel an Beratung. Psychologische Betreuung von Traumatisierten findet, wie ein Sprecher des Innenministeriums zugab, überhaupt nicht statt. Dennoch hält Minister Strasser die Betreuung für besser als zuvor und ortete das Problem in der Aggressivität der Tschetschenen. Dass das enge Zusammenleben tschetschenischer Flüchtlinge mit Asylbewerbern aus der Exsowjetunion zu Konflikten führen würde, sei voraussehbar gewesen, so Chalupka.

Die Konflikte auf dem Balkan, in Afghanistan und im Nahen Osten haben in den vergangenen Jahren die Anzahl der Asylbewerber von jährlich durchschnittlich 10.000 auf fast 40.000 im Vorjahr ansteigen lassen. Die meisten gelten als „Wirtschaftsflüchtlinge“ und können nicht mit Asyl in Österreich rechnen. Allerdings dauert das Verfahren inklusive Berufung oft mehrere Jahre. Sie haben in dieser Zeit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Sprachkursen, maximal ein Drittel wird in Bundesbetreuung genommen. Die übrigen suchen Zuflucht bei den privaten Hilfswerken oder tauchen unter.

Die Forderung nach Beschleunigung des Verfahrens hat Strasser in seinem Entwurf der Asylrechtsnovelle aufgegriffen und Hürden errichtet, die es Flüchtlingen so gut wie unmöglich machen, legal nach Österreich zu kommen. Mehrere Bestimmungen widersprechen den Genfer Konventionen, wie auch ÖVP-Menschenrechtssprecher Matthias Ellmauer kürzlich einräumte. Sein Vorschlag: Die Genfer Konventionen müssen angepasst werden. RALF LEONHARD