ARGENTINIEN: DIE SCHONZEIT FÜR DIKTATURGENERÄLE IST ENDLICH VORBEI
: Was Madrid von Buenos Aires lernen kann

Der argentinische Kongress hat es beschlossen: Militärangehörigen, die während der Diktatur (1976–1983) Regimegegner folterten, entführten und ermordeten droht jetzt der Richter. Es werden ihnen auch all die Rechte zugestanden, die sie ihren Opfern damals nicht gewährten. Sie können nach ihrer Verhaftung einen Anruf tätigen und Verwandte informieren, sie können einen Rechtsanwalt einschalten, sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern, und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und: Sie haben das Recht nicht lebendig aus einem Flugzeug in den Río de la Plata geworfen zu werden.

Zahlreiche Prozesse gegen Diktaturmilitärs werden folgen, nach dem der Kongress die Rücknahme der Amnestiegestze beschlossen hat. Gut so. Die Abgeordneten nahmen damit aber auch den Auslieferungsanträgen aus europäischen Ländern die Argumente: Jetzt können argentinische Militärs in Argentinien vor Gericht gestellt werden. Der spanische Richter Baltasar Garzón hatte erst vor kurzem 46 Auslieferungsanträge an Argentinien gestellt, weil er den Militärs in Madrid den Prozess machen wollte. Internationale Gerichtsbarkeit heißt das.

Aber seltsam ist es: Ausgerechnet Spanien möchte einen Prozess in Sachen Menschenrechte führen. Dabei wurde kein einziger General der Francodiktatur nach Spaniens Rückkehr zur Demokratie vor Gericht gestellt. Erstaunlich also, dass ausgerechnet Spanien in Argentinien zeigen wollte, wie ein Rechtsstaat zu funktionieren hat.

Viele in Europa und Argentinien hatten ihre Hoffnungen auf Richter wie Garzón gestüzt, die in neokolonialer Manier die Diktaturgeneräle von Lateinamerika nach Europa holen wollen. Aber man wird den Eindruck nicht los, als wollten diese Richter damit einen rechtsstaatlichen Anspruch einlösen, den sie im Umgang mit der eigenen Vergangenheit schuldig blieben. Statt internationaler Gerichtsbarkeit internationale Selbstgerechtigkeit.

Und diese hat immer mit den internationalen Machtverhältnissen zu tun. Als ein argentinischer Richter vor Jahren einen Auslieferungsantrag für Margret Thatcher nach Großbritannien geschickt hat, weil sie während des Krieges um die Falklandinseln ein argentinisches Kriegsschiff außerhalb der Kriegszone versenken ließ, hat er die Lacher auf seiner Seite – in der Londoner Downing Street.

Mit diesem Beschluss dürfte es schwieriger werden, die argentinischen Militärs vor europäische Gerichte zu stellen. Für Argentinien kann das nur gut sein. Die Diktaturverbrechen blieben nicht mehr ungestraft, und das Land könnte selbst über seine eigene Vergangenheit richten. INGO MALCHER