„Es geht um Versöhnung“

Heute beginnt das Filmfestival von Sarajevo. Gegründet wurde es 1995, in der Zeit der Belagerung. Ein Gespräch mit Elma Tataragić, Leiterin des auf Balkankino spezialisierten „Regional-Programms“

Interview PATRICK BATARILO

taz: Frau Tataragić, das erste Filmfestival wurde 1995 veranstaltet, noch während der Belagerung der Stadt durch die bosnischen Serben. Wie war das möglich?

Elma Tataragić: Der Veranstalter des Festivals, das Obala Art Center, war während des Kriegs sehr aktiv. Mit einem kleinen Kino fing es an, dem Apolo. Eintrittsgeld war eine Zigarette. Und die Leute kamen wie verrückt. 1995 veranstalteten wir dann das Festival. Wir zeigten 45 Filme und eine Léos-Carax-Retrospektive. Carax selbst war so verrückt zu kommen. Wir luden auch einen makedonischen und einen kroatischen Regisseur ein. Politisch war das ein riesiger Schritt nach vorn, denn das waren Leute, die gewissermaßen von der anderen Seite in das belagerte Sarajevo kamen, um hier mit den Menschen über ihre Filme zu reden.

In welcher Form wurde das Filmfestival weitergeführt?

Der Krieg endete einen Monat später. Weil das Festival ein großer Erfolg war, beschlossen wir weiterzumachen. Wir führten ein Open-Air-Programm ein. 1996 war es eine unerhörte Idee, den Leuten zu sagen, dass sie sich unter freiem Himmel Filme ansehen können, ohne dass ein Sniper auf sie schießt!

Und wie positioniert sich das Festival heute in der bosnischen Nachkriegsgesellschaft und auf dem Balkan?

Der Zusammenhang zwischen Bosnien und den anderen Balkanländern ist wichtig. Deshalb gibt es in diesem Jahr als Hauptprogramm ein „Regional-Programm“ mit Beiträgen aus allen Balkanländern. Wir tun alles, damit die Vertreter dieser kleinen Kinematografien sich wie Stars behandelt fühlen: Wir bieten ihnen einen wunderschönen Aufführungsort, das Nationaltheater. Sogar einen roten Teppich legen wir aus. Das ist wichtig, um das Selbstbewusstsein der Szene zu stärken.

Bildet sich in den Balkanländern denn eine gemeinsame Filmkultur heraus?

All diese Länder waren vor etwas mehr als zehn Jahren noch kommunistisch. Filme wurden damals nach einfachem Muster produziert: Man reichte ein Konzept bei einem Filmboard ein, im Falle einer Zusage erhielt man 90 Prozent des Budgets. Man spricht da oft von Zensur, aber in Wirklichkeit waren die Filmboards sehr undogmatisch.

Und heute?

Heute wird Geld natürlich nicht mehr verteilt, man muss es schon selbst auftreiben. Die meisten Länder hier sind aber sehr arm. Insbesondere Bosnien hat mit großen Problemen zu kämpfen, und Kulturfragen rangieren weit hinten auf der Agenda. Es hat lange gedauert, bis sich die hiesigen Produzenten auf diese Situation eingestellt haben, aber allmählich läuft der Laden, und die Filme werden immer besser. Die meisten sind Low-Budget-Produktionen. Der teuerste Film in meinem Programm hat in diesem Jahr 2 Millionen Euro gekostet, der billigste 2.500.

Besteht denn in Bosnien überhaupt eine Nachfrage nach einer eigenen Filmindustrie?

Die Leute hier sind regelrecht ausgehungert, was gute Filme angeht. In der Regel zeigen die hiesigen Kinos nämlich nur amerikanische Blockbuster. Die Leute wollen aber einheimische Produktionen sehen. Der Grund dafür ist: Wir in Bosnien machen wirklich sehr gute Filme. Fragen Sie mich nicht warum, vielleicht liegt es an unseren Genen. Sogar die Filme, die während des Krieges entstanden, wurden überall in der Welt prämiert. Dann gibt es natürlich Emir Kusturica und Bato Čengić und neuerdings die Oscar-Preisträger Danis Tanović und Ahmed Imamović. Auch dieses Jahr gibt es ausgezeichnete Filme aus Bosnien. Pjer Žalica etwa nimmt mit „Gori Vatra“ in Locarno am Wettbewerb teil.

Spielt die Verarbeitung des Krieges noch eine Rolle wie etwa gegenwärtig in der bosnischen HipHop-Szene?

Der Krieg ist in den Hintergrund gerückt. Jetzt geht es um die Probleme der Nachkriegsgesellschaft. „Gori Vatra“ zum Beispiel handelt von einer Kleinstadt in Bosnien, die vom US-amerikanischen Präsidenten besucht werden soll. Auf einmal muss alles funktionieren, aber gerade da werden die wirklichen Probleme deutlich. Im Prinzip geht es darum, ob Versöhnung möglich ist. Und um die Rolle der internationalen Gemeinschaft, die ein Teil des Alltagslebens in Bosnien geworden ist.

Wie steht es um die Chancen der Filmemacher, in Bosnien finanziell zu überleben? Gibt es ein Problem des „Brain-Drains“?

Leider ist es normal geworden, dass die Leute das Land verlassen. Ich weiß, das ist keine sehr verbreitete Meinung, aber ich denke, dass es zurzeit in Bosnien sehr viele Möglichkeiten gibt, gerade im Film. Das fängt hier alles erst an. Man kann viel erreichen, wenn man jung ist, Bildung hat und weiß, was man will. Natürlich, wem es ums Geld geht oder um den Ruhm – vergiss es, geh, so schnell du kannst!