zwischen den rillen
: Alternative forever mit Ween und Guides By Voices

Könige und Hofnarren

Fan von Ween zu werden wird einem nicht ganz einfach gemacht. Nie nehmen sie einen kuschelig-vertraut in den Arm. Hat man sich aber erst einmal verliebt, ist es einfach, bei Ween zu bleiben. Als Anhänger des Duos aus Pennsylvania fühlt man sich wie in der perfekten Beziehung: Man hört zwar stets die gewohnte Stimme, aber der Partner überrascht einen immer wieder aufs Neue. Im Bett mit Dean und Gene Ween wird’s garantiert nicht langweilig.

Diesmal allerdings, auf ihrem mittlerweile achten Album „Quebec“, haben sie übertrieben. Zuletzt hat man sich je einem Genre gewidmet und das eine Platte lang perfekt kopiert, ob Country & Western („12 Country Greats“), Prog-Rock („The Mollusk“) oder 60s-Pop („White Pepper“). Auf „Quebec“ dagegen kann man sich keine Sekunde sicher sein, in welchen musikalischen Abgrund einen die beiden Verrückten nun gleich führen werden. Es beginnt mit „It’s Gonna Be a Long Night“, einem dröhnenden Speed-Metal-Mahnmal. Weiter geht es mit „Zoloft“, einem luftigen, wunderhübschen Nichts, gefolgt von „Transdermal Celebration“, einem gemütlichen Psychedelic-Rocker mit Gitarrensolo und Soundspielereien, der auf LSD höchstwahrscheinlich prima kommt. Später adaptieren sie quietschende Synthie-Klänge des New Wave in „So Many People in the Neighborhood“ und liefern mit „Hey There Fancypants“ einen schmissigen Varieté-Song mit angemessen sinnfreiem Text ab. Und „The Argus“ schließlich ist eine Folk-Rock-Schnulze in Gedenken an Barclay James Harvest, der Gott des schlechten Geschmacks habe sie selig.

Trotzdem verkommt kaum ein Song zur Karikatur – abgesehen von einem Hörwitz wie „The F**ked Jam“ mit seinem zerhackten Kindergequake und endlosen Breaks. Im Gegensatz zu manchem Crossover-Artisten akzeptieren Ween die Grenzen des Genres, das sich gerade in der Mache befindet, brechen dessen Regeln aber immer wieder subtil, ob textlich oder musikalisch. Dabei gehen die kleinen Provokationen und mitunter schlechten Scherze allzu oft auf ihr eigenes Konto.

Während Ween womöglich nicht ernsthaft genug agieren, nehmen sich Guided By Voices bisweilen zu ernst. Wenn Ween ein Programm daraus machen, Erwartungshaltungen zu enttäuschen, kann man sich bei Guided By Voices immer sicher sein, das zu bekommen, was Robert Pollard einem geben kann: sich selbst, und das in althergebrachter, gut amerikanischer Entäußerung, die keine von irgendwelchen Popkonzepten ausgebrütete Glamourhaltung kennt.

Hier hat man es, nach einer längst unüberschaubaren Anzahl von Veröffentlichungen, auch auf „Earthquake Glue“ noch mit klassischem Alternative-Rock zu tun: Solide und aufregend unaufregend. Aus Dayton, Ohio, eben.

Innerhalb ihres eng gesteckten Konzepts – einige Gitarren, dazu Bass, Schlagzeug und ein paar Keyboard-Schlenker – gelingen Guide By Voices aber immer wieder berückend schöne Songs wie „My Kind of Soldier“ oder „The Best of Jill Hivers“, die erst mal nicht mehr aus dem Kopf wollen.

Und zweitens dann endgültig beweisen, dass der Postrock, als dessen Vertreter man in der nun bald 20 Jahre währenden Bandgeschichte ja auch schon fungierte, sich tatsächlich verabschiedet hat – und ein guter Rocksong wieder zu den Dingen gehört, die man sich gern mal gönnt.

In einem dieser Songs, die sich schon beim ersten Hören wie Klassiker gerieren, nämlich in „Dead Cloud“, bettelt Pollard: „Send the sunlight to me.“ Oder vielleicht singt er auch „sell the sunlight“? Wer weiß. Sinn macht beides: Mal als romantische Vorstellung der Natur als Inspiration, wie sie bereits prägend war für den Wüstenrock der Achtziger, auf den sich heute Calexico berufen. Aber auch als Rückgriff auf die damals ebenfalls schon beliebte Position, den eigenen Mythen zu misstrauen. Thin White Rope sangen damals: „I wish I could turn my sunsets into cash.“ Dieselbe selbstsichere, kleinstädtische Uncoolness tragen Guided By Voices immer noch zu Markte, ohne jemals in Korruptionsgefahr zu geraten.

Das Prinzip heute wie damals bleibt dasselbe: Die Musik wächst mit ihren Protagonisten und mit jedem Hören. Musik als persönlichster Ausdruck, an dem teilzuhaben uns der Musiker erlaubt: eine Real-Life-Soap in Tönen sozusagen. Enger wird die Produkt-Konsumenten-Bindung selten. Weil er dieses Prinzip beherzigt wie kaum ein anderer, weil Robert Pollard so sehr seine Musik ist, und seine Musik ist Robert Pollard. Und weil dabei auch noch so wundervolle Platten abfallen wie „Earthquake Glue“, sind Guided By Voices die Könige des Alternative Rock. Ween geben dazu die Hofnarren. Nötig sind beide.

THOMAS WINKLER

Ween: „Quebec“ (Sanctuary/Zomba)Guided By Voices: „Earthquake Glue“ (Matador/ Beggars Group/ Zomba)