Ein Anschlag auf gemäßigte Kräfte

Der Mord macht für Iraker die Zusammenarbeit mit den Besatzern schwerer. Die Schiiten werden radikaler

KAIRO taz ■ Der am Freitag in Nadschaf ermordete Ajatollah Bakir al-Hakim war ein ideales Ziel für jeden, der die politische Zukunft des Landes sabotieren wollte. Er war Schiit, politisch und religiös einflussreich, und er war pragmatisch. Alles Attribute, die den 63-Jährigen zu einer Schlüsselfigur für die Amerikaner beim politischen Wiederaufbau des Irak machten.

Der schiitische Rechtsgelehrte und Chef des Obersten Rats der Islamischen Revolution, Sciri, war durchaus kritisch gegenüber den Amerikanern, die er nicht als Befreier, sondern als Besatzer bezeichnete. Doch Bakir al-Hakim war auch davon überzeugt, dass er mit den Amerikanern zusammenarbeiten und ihnen Zeit geben muss. Bakirs Bruder Abdelasis al-Hakim, mutmaßlicher Nachfolger des Ermordeten als Sciri-Chef, sitzt im provisorischen irakischen Regierungsrat. Über ihn fungierte Bakir al-Hakim als eine der wichtigsten Brücken zwischen Besatzungsmacht und den Schiiten, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Interesse an seinem Tod hatte jeder, der diese Brücke zum Einstürzen bringen will. Bisher hat sich noch keine Gruppierung zu dem Anschlag bekannt. Unterdessen wird aus Kreisen der US-Armee und der irakischen Polizei die Verhaftung von vier Männern bestätigt, zwei Irakern und zwei saudischen Staatsbürgern, die angeblich mit dem Al-Qaida-Netzwerk in Verbindung stehen. Nach arabischen Zeitungsberichten sollen sie gar bereits gestanden haben. Inzwischen soll die Polizei sogar festgestellt haben, dass bei den Anschlägen vor dem UN-Hauptquartier und in Nadschaf der gleiche Sprengstoff benutzt wurde. Möglicherweise soll aber eine schnelle Ermittlungslösung nur jegliche weitere Spekulationen über die Täterkreise beenden. Dass es sich bei den Verhafteten um Ausländer handelt, ist das beste Rezept, innerirakische religiöse Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten oder unter den Schiiten zu verhindern. Die zwei verhafteten Saudis wurden von in einem Internetcafé in Nadschaf von Einheimischen aufgegriffen. Es ist allerdings schwer, zu glauben, dass sich die Täter noch Tage nach dem Anschlag in der Stadt aufhalten und zudem an einem viel besuchten Ort durchs weltweltweite Netz surfen.

Die Familie Hakims und der Sciri deuten nach dem Anschlag mit dem Finger auf Gefolgsleute Saddams. Mit der Ermordung hätten sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: den verhassten Schiiten einen Schlag verpasst und den US-Besatzern noch einmal vor Augen geführt, in welche Sackgasse sie sich manövriert haben.

Hintergrund des Mordes könnte aber auch ein schwelender innerschiitischer Machtkampf zwischen Bakir al-Hakims Sciri und der zweiten großen politischen Organisation der Schiiten, der radikaleren Sadr-Gruppe, sein. Die Sadr-Gruppe, die im Land geblieben war und nicht aus dem Exil operiert hatte, hat Bakir al-Hakims Zusammenarbeit mit den Besatzern stets scharf verurteilt. Dazu kommt ein Generationenkonflikt. Der Sadr-Chef Ajatollah Moktada al-Sadr ist mit 29 Jahren gerade halb so alt wie Bakir al-Hakim. Moktada selbst hat den Anschlag auf seinen Konkurrenten zwar verurteilt, aber seine Gruppe, die ihre Hochburgen vor allem in den schiitischen Slumvierteln von Bagdad hat, gilt nicht gerade als homogene Truppe.

Alle jene, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten, etwa im provisorischen Regierungsrat, geraten nun noch mehr unter Druck. Bahr al-Ulum, ein unabhängiger schiitischer Geistlicher, ist aus Protest gegen die Unfähigkeit der Amerikaner, im Land für Sicherheit zu sorgen, am Wochenende von seiner Mitgliedschaft im Regierungsrat zurückgetreten.

Jedenfalls wird der Anschlag dazu führen, dass die gesamte schiitische Gemeinde zusammenwächst. Ihr großer gemeinsamer zukünftiger Nenner: eine wachsende Radikalität gegenüber den Besatzern. Schon jetzt reden moderate schiitische Geistliche davon, dass ihnen „das Messer im Nacken sitzt“ und dass es immer schwieriger wird, die eigenen Leute zu kontrollieren. Ein amerikanischer Albtraum: Für Washington war es bisher lebenswichtig, dass zumindest unter den Schiiten, trotz wachsender Unzufriedenheit, bisher kaum jemand mit militärischen Mitteln gegen die Besatzung vorgegangen ist.

Unterdessen soll Washington nach Berichten der New York Times an einem Strategiewechsel arbeiten. Die Regierung Bush will verstärkt islamische Staaten zur Mitarbeit im Irak verpflichten. Auch die Rolle der Vereinten Nationen soll verstärkt werden. Dabei finden die USA mit dem ehemaligen Kriegsgegner Russland möglicherweise einen willigen Partner. Bei einem Besuch in Italien verkündete Russlands Präsident Wladimir Putin am Wochenende, dass er sich durchaus einen Einsatz internationaler Truppen unter US-Kommando im Irak vorstellen könne, solange das Ganze vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet wird.

Wie verzweifelt Washington versucht, das Ruder im Irak herumzureißen, zeigen auch Gespräche, die derzeit im Irak zwischen Besatzern und den irakischen Parteien laufen. Diskutiert wird, innerhalb eines Monats mit Hilfe der irakischen Parteien eine große irakische Miliz aufzubauen, die in Zukunft für die Sicherheit in den Städten zuständig sein soll. Bisher hatten sich die USA gegen derartige Pläne gesperrt, mit dem Argument, dass derartige Milizen am Ende aufeinander losgehen und für noch mehr Unsicherheit sorgen könnten.

KARIM EL-GAWHARY