Russischer Oberst erneut vor Gericht

Heute beginnt das Revisionsverfahren gegen Juri Budanow. Er soll eine 18-jährige Tschetschenin vergewaltigt und ermordet haben. In St. Petersburg überfallen angebliche Unterstützer des Militärs das Büro der Menschenrechtsorganisation Memorial

Die Memorial-Mitarbeiter wurden bedroht und mit Klebeband gefesselt

von BARBARA KERNECK

Vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation beginnt heute das Revisionsverfahren im Falle des Panzerobersten Juri Budanow. Der Anwalt des Obersten hat Berufung gegen das Urteil des Militärgerichtshofes in Rostow am Don vom 25. Juli dieses Jahres eingelegt. Der hatte Budanow wegen Entführung und Ermordung der 18-jährigen Tschetschenin Elsa Kungajewa zu zehn Jahren Haft in einer Strafkolonie mit besonders strengem Regime verurteilt.

Budanow war in der Nacht zum 27. März 2000 in volltrunkenem Zustand mit Kameraden in das Dorf Tangi gefahren, wo er Elsa aus dem Kreise ihrer Familie riss. Das Mädchen blieb dann vor ihrem Tod durch Erwürgen mit Budanow mehrere Stunden allein. Das Gericht hielt dem Obersten zugute, er habe Elsa für eine gefährliche Scharfschützin gehalten und bei ihrem Verhör einen Wutanfall erlitten.

In einem ersten Urteil im Dezember 2002 hatte das Rostower Gericht Budanow wegen „vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit während der Tat“ freigesprochen. Doch der Oberste Gerichtshof ordnete damals eine Neuverhandlung an. Im Sommer hatten rechtsradikale AnhängerInnen Budanows bei Demonstrationen vor dem Gericht in Rostow am Don auf Transparenten seinen Freispruch gefordert und seine Wahl zum Abgeordneten des lokalen Parlamentes vorgeschlagen.

Angebliche Anhänger des Obersten überfielen am 14. August das St. Petersburger Büro der Menschenrechtsorganisation Memorial. Dessen Leiter, Wladimir Schnitke, berichtete der taz, es habe sich um einen zielgerichteten Zugriff auf seine persönliche Datenbank gehandelt. „Die beiden Täter kamen am hellerlichten Tag in unser Büro und stellten sich als Repräsentanten einer ‚Gesellschaft zur Verteidigung Budanows‘ vor. Sie nahmen mein Notebook und meinen Mini-Computer an sich und durchwühlten meine Aktentasche, bis sie auch den Organizer fanden. Ansonsten rührten sie weder Geld noch andere wertvolle Gegenstände an.“ Schnitke und zwei seiner Mitarbeiterinnen wurden von den Banditen mit Hämmern bedroht, an den Händen mit Klebeband gefesselt und in eine Kammer gesperrt. Einer von beiden schrieb noch mit der linken Hand „Freiheit für Budanow!“ auf einen Papierbogen, bevor sie einen Schrank vor die Kammer rückten.

Schnitke hält das Bekenntnis der beiden zu einer Pro-Budanow-Gruppierung allerdings für eine „eindeutige Vertuschungsmaßnahme“. Wer in Wahrheit hinter dem Überfall steckt, kann er sich auch nicht erklären: „Ich hatte keine geheimen Daten in meinen Rechnern. Und unsere Geheimdienste haben ganz andere Möglichkeiten.“ Bereits im April vergangenen Jahres war einem anderen Mitglied der St. Petersburger Memorial-Organisation, Wjatscheslaw Dalinin, der Computer aus sei- ner Wohnung gestohlen worden. Wisa und Rosa Kungajew, die Eltern der ermordeten Elsa, sind mit ihren vier überlebenden Kindern am 20. August aus einem Flüchtlingslager in Inguschetien auf Einladung von Menschenrechtsorganisationen nach Norwegen übergesiedelt. Sie hatten ihrerseits das Urteil vom Sommer nicht angefochten. Sie seien des Prozessierens müde, erklärte Vater Wisa einer russischen Journalistin, aber mit dem Urteil keineswegs zufrieden gewesen. Besonders habe es sie aufgebracht, dass der Anklagepunkt der Vergewaltigung fallen gelassen wurde. Eine anfängliche medizinische Expertise war nämlich zu dem Schluss gekommen, dass Elsa vor ihrem Tod vergewaltigt worden war. Ein zweiter Gutachter konstatierte aber lediglich Verletzungen im Unterleibsbereich durch Schläge mit einem schweren, stumpfen Gegenstand.