„Hier ist das kein Thema“

Die mehr als dubiose Rolle der US-Medien vor und während des Irakkrieges harrt noch immer der Aufarbeitung. „Sie sind ein wenig peinlich berührt“, sagt John R. MacArthur über seine Kollegen

Interview ERIC CHAUVISTRÉ

taz: Nach dem 11. September 2001 habe Sie Ihren Journalistenkollegen in den USA vorgeworfen, sie würden vor lauter Patriotismus die Politik der Bush-Regierung nicht mehr kritisieren. Hat sich die Zunft inwischen davon erholt?

John R. MacArthur: Die Lage hat sich etwas verbessert, die Irakpolitik wird nun offen kritisiert und es wird darüber berichtet, was für ein Desaster im Irak herrscht. Aber das lässt sich ja auch nicht umgehen. Wenn es ständig Anschläge gibt und Leute sterben, ist das unmöglich zu ignorieren. Die Rolle aber, die die Medien gespielt haben, um vor dem Krieg für die Invasion zu werben, müsste jetzt unbedingt untersucht werden.

Wo haben die US-Medien denn versagt?

Es war schon bemerkenswert, was für Propaganda da als Journalismus verkauft wurde, vor allem im Herbst 2002. Und nur diese Zeit ist relevant, denn am 11. Oktober erteilte der US-Kongress dem Präsidenten die Vollmacht für den Krieg. Alles, was sich jetzt als Lüge herausstellt, wurde zu der Zeit als Fakt präsentiert. Niemand kann behaupten, dass die amerikanische Presse als Kontrollinstanz der Macht funktioniert hat. In der New York Times und der Washington Post wurde für den Irakkrieg regelrecht geworben. Nicht auf den Kommentarseiten, sondern im Nachrichtenteil der Zeitungen.

Das hätten wir gerne etwas genauer.

Das deutlichste Beispiel ist die Geschichte über die Aluminiumröhren, die zu einer Atombomben-Drohung aufgebauscht wurde. Am 7. September veröffentlichte die New York Times die Story auf der Titelseite. Später wurde belegt, dass die Röhren für konventionelle Raketen gedacht waren. Und es ging nicht einmal um eine Beschaffung, es war nur der Versuch Iraks, die Röhren zu kaufen. Dennoch wurde dies als unmittelbare Bedrohung einer Atombombe dargestellt. Und wenn die New York Times so eine Geschichte veröffentlicht, hängt sich die gesamte US-Presse daran.

Und niemand ging der Geschichte nach?

Jedenfalls nicht vor der entscheidenen Abstimmung im US-Kongress am 11. Oktober. Auch in dem anderen Fall, als George W. Bush und Tony Blair Anfang September behaupteten, die Internationale Atomenergiebehöre IAEA würde von einer irakischen Atombombe in sechs Monaten ausgehen, wurde das ohne Nachfragen abgedruckt.

Sehen Sie denn derzeit gar keinen investigativen Journalismus in den USA?

Doch, es gibt einzelne Leute, die das machen. Aber es ist eher die Ausnahme. Dabei bedurfte es in den genannten Fällen gar keiner großen Recherchen. Man brauchte nur das zu lesen, was die Leute gesagt haben und was in öffentlich zugänglichen Dokumenten stand, um die Behauptungen zu widerlegen.

Welche Wirkung hat die Aufdeckung dieser falschen Behauptungen?

Es gibt jetzt mehr Berichte darüber, aber es ist lange nicht so wie in Großbritannien, wo die falschen Begründungen der Regierung für den Irakkrieg eine nationale Krise heraufbeschworen haben. Hier ist das kein großes Thema.

Und was sagen Ihre Kollegen in den großen Zeitungen und Sendern heute dazu?

Sie sind ein wenig peinlich berührt. Vielleicht sind sie ein wenig wenig überheblich als zuvor. Aber sie glauben weiterhin, dass sie einen guten Job gemacht haben – vor und während des Krieges. Es ist unglaublich: Die Regierung sagt, schwarz ist weiß. Und die Medien berichten: Schwarz ist weiß. Sechs Monate später sagen die Leute plötzlich: „Oh, schwarz ist gar nicht weiß“ – und alle sind überrascht. Es gib ein Missverhältnis zwischen Fantasie und Realität in diesem Land, das schwer zu erklären ist.

Nach dem Golfkrieg 1991 kritisierten Sie, dass die US-Militärs die Journalisten nicht nah genug an das Geschehen herangelassen haben. Diesmal durften zumindest die Reporter, die „embedded“ waren, näher ran. Waren Sie damit zufrieden?

Es war besser als gar nichts. Aber es war immer noch ziemlich schlecht. Es gab einige Reporter, die sehr gute Arbeit gemacht haben. Sie haben berichtet, was sie gesehen und gehört haben. Aber die meisten Journalisten vor Ort praktizierten Selbstzensur. Sie haben zum Beispiel nie Marines zitiert, wenn die sich zu gewalttätig oder abfällig über Iraker äußerten. Die Art, wie die Soldaten dort reden, ist eben nicht die Art und Weise, wie die PR-Leute dies sehen wollen. Die Reporter waren gehemmt, die Leute zu verärgern, von denen sie beschützt wurden. Das andere ist, dass die Reporter in einer Einheit bleiben mussten. Sie konnten daher gar nicht über zivile Tote sprechen. Und wenn sie es taten, haben die Redaktionen zu Hause in den USA dies zumeist nicht gedruckt oder im Fernsehen gezeigt.

Zwei Jahre nach dem 11. September: Ist der Journalismus in den USA schlechter geworden?

Er ist nicht schlechter als während des spanisch-amerikanischen Krieges oder während des Ersten Weltkrieges. Aber er ist sehr viel schlechter als gegen Ende des Vietnamkrieges. Das war der höchste Stand des Journalismus in diesem Land. Wenn man es also mit der Situation von vor hundert Jahren vergleicht, kann man sagen, es ist nichts Neues. Aber wenn man es vergleicht mit dem Standard, den wir vom Ende der 60er- bis Mitte der 70er-Jahre hatten, dann ist die Situation sehr schlecht.