kuckense ma: auf Bremens Leinwand
: Viel Wasser: „Mein erstes Wunder“ von Anne Wild

Die elfjährige Dole kann Elfen sehen. Im Meereswasser des Ostseebades, in dem sie mit ihrer Mutter Urlaub macht, leben die zierlich durchsichtigen Wunderwesen, und nur Hermann sieht sie auch. Da ist es egal, dass ihr Freund schon über vierzig und Familienvater ist – die beiden sind Seelengefährten und glücklich miteinander.

Doles Mutter und Hermanns Frau befürchten allerdings das Schlimmste, nachdem das ungleiche Paar abgehauen und auf Elfensuche gegangen ist. Und auch dem Zuschauer schwant zuerst Böses, denn wenn ein Biedermann plötzlich seine Familie verlässt und mit einer Minderjährigen verschwindet, dann kann dies eigentlich nur zu einer Lolita-Variation führen. Aber die Regisseurin Anne Wild gestattet in ihrem Debütfilm keinen voyeuristischen Blick in diese Richtung.

Sie hat eindeutig gegen all die Assoziationen von Gewalt und Missbrauch, die bei solch einem Thema unwillkürlich hochkommen, inszeniert. Dramaturgisch zieht sie gerade keinen Spannungsbogen, bei dem der Zuschauer um Dole Angst haben muss – die Elfjährige ist die souveränste Figur des Films.

Dies ist ein im besten Sinne des Wortes merkwürdiger Film: eine unmögliche Liebesgeschichte, eine sanfte Ballade, aber auch ein genau beobachtetes Psychogramm.

In Doles Welt passiert alles noch zum ersten Mal und ist deshalb absolut – da gibt es noch keine Kompromisse und diese Reinheit überwältigt den braven Familienvater und Vertreter für Friseurbedarf Hermann, der am Ostseestrand viel begeisterter an seiner Strandburg baut als seine schon ziemlich abgebrühten eigenen Kinder.

Deshalb entflieht der Kindskopf dann auch aus dem prosaischen Allerweltsleben in eine poetische Reise, als Dole einige Wochen nach dem Urlaub plötzlich mit rührend adrett gepacktem Rucksack und Schlafsack vor seiner Haustür steht, um mit ihm zusammen zurück ans Wasser und zu den Elfen zu fahren.

Es fließt viel Wasser in „Mein Erstes Wunder“ und manchmal übertreibt die Regisseurin es etwas mit diesen feuchten Sinnbildern, aber ihre schwelgerische Kamera-Lyrik wird dann doch nie penetrant. Dafür sorgt auch der Kontrapunkt der beiden Verfogerinnen, denn der Film ist als eine große Parallelmontage konstruiert, bei der immer zwischen Dole und Hermann und den beiden verzweifelt nach ihnen Suchenden hin und her gesprungen wird.

Solch ein mutwillig gegen die Erwartungen und Genre-Klischees gestrickter Film funktioniert nur, wenn die Filmfiguren so authentisch und intensiv wirken, dass man ihnen ihre Handlungen glaubt, auch wenn man sie eine ganze Weile lang nicht einschätzen kann. Da muss jede Rolle genau stimmig besetzt sein, und die Hauptlast liegt natürlich auf der Darstellerin der Dole.

Es gibt im Kino ja erstaunlich viele Kinder und Jugendliche, die vor der Kamera völlig natürlich und wahrhaftig wirken – vielleicht, weil für sie das Schauspielen tatsächlich noch ein Spiel und kein Handwerk ist. Genau diesen Eindruck bekommt man, wenn man die zwölfjährige Henriette Confurius hier als Dole sieht. Leonard Lansink lässt sich in der Rolle des Hermann virtuos von ihr an die Wand spielen. Ohne viel Aufhebens davon zu machen gibt er einen sehr warmherzigen tragikkomischen Helden. Am undankbarsten sind die Rollen der beiden „verlassenen“ Frauen und umso bemerkenswerter ist es, wie intensiv und bewegend Juliane Köhler die oft ins Hysterische kippende Mutter von Dole und Gabriela Maria Schmeide die ratlos verzweifelnde Frau von Hermann spielen. Aber die beiden gehören ja auch zu den Besten des deutschen Films. Wilfried Hippen

Bis Samstag täglich um 20.30 Uhr und von Sonntag bis Dienstag um 18 Uhr im Kino 46