Die Afroexzentrikerin

Geblieben ist die Perücke. Erykah Badu gilt als die unumstrittene Königin des Neo-Soul. Mit ihrem neuen Album befreit sie sich allerdings vom heiligen Ernst der frühen Tage: sehr zu ihrem Vorteil

von TOBIAS RAPP

Es dürfte der Königin ganz gut in den Kram passen, dass ihr Reich sich im Niedergang befindet. Denn der Neo-Soul – jene Musik, die in den späten Neunzigern so organisch aus den Tiefen der musikalischen Tradition des schwarzen Amerika aufstieg und einen Faden wieder aufzunehmen schien, der verloren gegangen war, als die Digitalisierung begonnen hatte, der Musik die Seele auszutreiben –, dieser Neo-Soul steckt in einer tiefen Krise. Zwar erscheinen immer noch mit schöner Regelmäßigkeit neue Schallplatten von unglaublich begabten Künstlern. Doch was sich in seiner musikalischen Komplexität einst anhörte wie ein Antidot zu den einfachen Vorgaben des chartsbeherrschenden HipHop und R&B, das ist selbst inzwischen zu einer Musik geworden, die nur noch von ihrer eigenen Formelhaftigkeit lebt.

Der Strahlkraft von Erykah Badu, einst die unumschränkte Herrscherin dieses Gebiets, kann dieser Niedergang aber offenbar nichts anhaben. Im Gegenteil: Befreit von den Zwängen der Repräsentation, vermittelt ihr neues Album „World Wide Underground“ (Motown) das Gefühl, als ob sie in der selbst gewählten Klandestinität erst zu ihrer wahren Bestimmung gefunden hätte – dem zu wenig mehr als der reinen Pose geronnenen Afroexzentrismus.

Der Zauber beginnt schon mit ihrem Namen: Nicht das profane Erica Wright, mit dem sie ins Taufregister eingetragen wurde, damals in Fort Wrath in Texas. Nein, Erykah Badu. Im Vornamen ein geheimnisvolles y anstelle des i, ein exotisches k anstelle des c und ein stummes h, das dem Namen eine Gravität gibt wie das e, mit dem einst Goethe seinen Namen veredelte. Und dann mit Badu ein Nachname, der genauso die Poesie des Scatgesangs atmet, wie er eine Anmutung von subsaharischer Farbe vermittelt. Würde man ein wenig Badu im Garten vergraben (ganz so, so wie der legendäre Reggaeproduzent und ebenfalls dem Afroexzentrismus zugeneigte Lee „Scratch“ Perry einst Bänder und Platten hinter seinem Black Ark-Studio vergrub) – innerhalb kürzester Frist würde dort wahrscheinlich ein großer Baobab-Baum sprießen, mitsamt exotischen Vögeln, die zwitschernd in den Ästen sitzen. Ästen, die vom Baum abstehen wie die Haare von Badus Afroperücke.

Diese Perücke nimmt nun auch den größten Teil des Covers von Badus neuem Album ein – ihrer ersten Platte seit drei Jahren, die sie in den handschriftlich hingekrakelten Liner Notes im Booklet bescheiden als EP bezeichnet. Überhaupt scheint Understatement das heimliche Motto der Platte zu sein. Neo-Soul will das auf jeden Fall nicht mehr sein: „Freakquency“ heißt das Gebot der Stunde.

Doch wer könnte sich dem Bann dieser Stimme entziehen? Jenem federleichten Gesang, der immer leicht schillernd sich anhört wie eine bekiffte Billie Holiday ohne Männerprobleme? Eine Stimme, die tatsächlich vor allem von ihrem Klang lebt, alldieweil Text, jene seit Erfindung des Rap in der afro-amerikanischen Popkultur ja in schier unermesslichen Umfang zur Verfügung stehende Ressource, von Badu heuer vergleichsweise spärlich eingesetzt wird?

In „I want you“ etwa – einem Stück, das mit dem Schlagen eines Herzens beginnt und sich über mehr als zehn Minuten im Luxus des großartigen Zusammenspiels von Badus Musikern von einem Stil in den nächsten bewegt, ohne dass man es groß merken würde – da reichen wenig mehr als die drei titelgebenden Worte, um eine wunderbare Atmosphäre von luftigem Begehren herbeizuzaubern. Oder „Woo“, eine Variante von Badus Klassiker „Sometime“, in dem sie über die „Woo“-Rufe eines imaginären Publikums improvisiert.

Obwohl „World Wide Underground“ ein Studio-Album ist, so klingt es doch wie eine Live-Platte, die nur leicht bearbeitet wirkenden Stücke vermitteln das Gefühl endloser Jamsessions. Was angesichts der vielen dutzend Konzerte, die Badu in den vergangenen Jahren gespielt hat, auch kaum verwundert: Da gibt es das wunderbar aufeinander eingespielte Produktionsteam aus Rashad „Ringo“ Smith, James Poyser und R. C. Williams – der Kern von Badus Tourband –, die sich zusammensetzen und nach den Vorgaben von Badu spielen und spielen und spielen. Kaum merklich gehen die Stücke ineinander über, gleiten von einem Groove in den nächsten.

Da findet sich die Jazz-Hipness von Badus Gesang, in „Think Twice“ noch hervorgehoben durch Roy Hargroves Trompete, die dem Stück eine Atmospäre verleiht, als hätte sich Badu entschlossen, ein Donald-Byrd-Stück nachbauen zu wollen. Es gibt noch immer das Stevie-Wonder-geschulte Soulgefühl.

Neu hinzugekommen allerdings ist eine ganz eigene HipHop-Coolness. Denn so sehr es in Vergessenheit geraten ist: auch HipHop war einmal eine Musik, die von einer Band eingespielt werden konnte. Und so schlüpfen Badus Musiker in die Rolle der Sugarhill-Hauskapelle und covern den Old School-Klassiker „Funk You Up“, nur die Discoshots fehlen noch.

Es ist eine höchst rätselhafte Art und Weise, mit der Erykah Badu einen auf ihrer Platte anlächelt. All die Versatzstücke ihres Afroexzentrismus sind noch da: die bohemistische Spiritualität, die Räucherstäbchen, die enigmatischen Verweise in die Vergangenheit, die Afroperücke, das Anrufen einer schwarzen Subjektivität. Doch eines ist verschwunden, sehr zu ihrem Vorteil: der heilige Ernst der frühen Tage.