Heiraten und wandern in Europa erleichtert

Europäischer Gerichtshof: Um enges nationales Ausländerrecht zu vermeiden, darf man auch kurz das Land wechseln, um liberaleres EU-Recht in Anspruch zu nehmen. Besonders für die Heirat mit illegal Eingereisten interessant

FREIBURG taz ■ Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) gestern entschied, darf man gezielt seinen Aufenthalt eine Zeit lang in ein anderes EU-Land verlegen, um in den Geltungsbereich des fortschrittlichen EU-Ausländerrechts für EU-Wanderarbeitnehmer zu kommen. Nationales Ausländerrecht kann so in bestimmten Konstellationen gezielt vermieden werden.

Im konkreten Fall ging es um den marokkanischen Staatsbürger Hacene Akrich, der illegal nach England eingereist war und dort 1996 eine Engländerin heiratete. Wegen der illegalen Einreise verweigerten ihm die britischen Behörden jedoch eine Aufenthaltsgenehmigung. Daraufhin zog das Paar nach Dublin, wo die Frau ein Jahr arbeitete. Anschließend kehrten die beiden nach England zurück und beriefen sich auf EU-Recht, das Wanderarbeitnehmern mit EU-Staatsangehörigkeit die Begleitung eines Ehepartners erlaubt, egal welche Staatsangehörigkeit der besitzt.

Die englischen Behörden ließen das nicht gelten. Das Paar sei nur vorübergehend nach Dublin gezogen, um die strengen britischen Vorschriften auszutricksen. Doch der EuGH entschied nun anders: Ein Missbrauch liege nicht vor. Der Grund, warum jemand von einem EU-Land in ein anderes zieht, habe die Behörden nicht zu interessieren. Ein Missbrauch liege nur vor, wenn es sich bei der Heirat um eine Scheinehe handelt.

Das Urteil könnte in zwei Konstellationen auch für Deutschland relevant werden. Bei der Heirat von illegal eingereisten Nicht-EU-Ausländern mit Deutschen verlangen die Behörden häufig, dass der Ausländer wieder ausreisen und im Ausland ein Visum beantragen muss. Als Alternative könnte das binationale Paar nun auch in ein EU-Nachbarland ziehen, wenn der deutsche Ehepartner dort arbeiten kann. Anschließend könnten die beiden dann als EU-Wanderarbeitnehmer plus Ehegatte zurückkommen.

Ähnlich die zweite Konstellation: Ein binationales Paar mit normalem Aufenthalt in Deutschland möchte die Oma aus dem Nicht-EU-Ausland nachholen. Nach deutschem Recht ist dies nur in „außergewöhnlichen Härtefällen“ möglich, für EU-Wanderarbeitnehmer geht dies aber ohne weiteres. Auch hier könnte eine zeitweilige Tätigkeit im EU-Ausland also helfen. Für Bürger, die im Grenzgebiet leben, dürfte das vielleicht gar nicht so schwierig sein. Immerhin nimmt die Zahl der EU-Anrainer ständig zu. Neben Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich und Österreich kommen bald auch Tschechien und Polen hinzu.

Im Vorjahr hat der EuGH sogar entschieden, dass nicht nur echte Wanderarbeitnehmer unter das EU-Recht fallen, sondern auch grenzüberschreitende Dienstleister. Wer etwa als Inhaber einer Werbeagentur oft Aufträge aus dem EU-Ausland erledigt und entsprechende Dienstreisen unternehmen muss, kann sich in Familienangelegenheiten ebenfalls auf das liberalere EU-Recht berufen. (Az.: C-109/01)CHRISTIAN RATH