Guerilla droht Haitis Regierung

In Haiti kommt es immer wieder zu bewaffneten Aktionen gegen die Regierung von Präsident Aristide. Ein Gegner wirft ihm vor, sich zum Diktator gewandelt zu haben

„Ich mache, was ich machen muss, damit diese Diktatoren verschwinden“

SANTO DOMINGO taz ■ Für Haitis Regierung ist der frühere Polizeioffizier Guy Philippe ein Verschwörer, der von der benachbarten Dominikanischen Republik aus den Sturz von Staatspräsident Jean-Bertrand Aristide betreibt. Im Mai überreichte Außenminister Joseph Philippe Antonio der dominikanischen Regierung ein Dossier, in dem die Auslieferung des früheren Polizeichefs von Cap Haitïen gefordert wird.

Die Anschuldigungen: Der heute 35 Jahre alte Expolizist habe sich im Oktober 2000 an der Vorbereitung eines Staatsstreichs gegen Haitis damaligen Staatspräsidenten René Préval beteiligt und sich danach in die Dominikanische Republik abgesetzt. Auch habe er den gescheiterten Überfall auf den Präsidentenpalast am 17. Dezember 2001 geplant und befehligt, bei dem mehrere Personen starben. Im Mai dieses Jahres habe Philippe an einem konspirativen Treffen bewaffneter Rebellen in Grenznähe teilgenommen.

Zwei Tage später überfiel ein Kommando ein Wasserkraftwerk. Die Wächter wurden ermordet, die Stromversorgung unterbrochen. Und auch zu der Gruppe, die Ende Juli eine Fahrzeugkolonne angegriffen und vier Angehörige des Innenministeriums ermordete, unterhalte Philippe enge Verbindungen. „Er ist eine der Figuren, die offenkundig Kontakt mit dem bewaffneten Arm der Opposition haben“, sagt Haitis Konsul in der Dominikanische Republik, Edwin Paraison.

Philippe selbst lacht bei einem Treffen nur über solche Anschuldigungen. „Ich mache, was ich machen muss, damit diese Diktatoren aus meinem Land verschwinden.“ Nach eigenen Aussagen glaubte er selbst einmal an den früheren Salesianerpriester Aristide, der 1990 zum Staatspräsidenten des ärmsten Landes des amerikanischen Kontinents gewählt wurde.

Philippe, Sohn einer Politikerfamilie – „mein Vater war Bürgermeister unter Duvalier, meine Mutter war Bürgermeisterin unter Aristide“ –, wurde Militär. Er gehörte zu einer Gruppe „junger Kadetten“, die nach dem Amtsantritt Aristides nach Ecuador auf die Militärschule geschickt wurde. Sie sollten einmal die tragenden Stützen einer entpolitisierten Armee werden. Nach der Rückkehr des 1991 aus dem Amt geputschten Armenpriesters wurde Philippe nach der Auflösung der Armee Verwaltungschef der Polizei in Cap Haitïen, der zweitgrößten Stadt des Landes.

Mit dem „Regime Aristide“ brach er im Mai 2000 nach den Parlamentswahlen. „Als Sicherheitschef konnte ich mit eigenen Augen beobachten, wie die Wahlen gefälscht wurden. Ich wollte nicht mehr Mitglied dieser Polizei sein.“ Hat er sich deshalb an Putschplänen gegen Préval beteiligt, wie Haitis Regierung sagt? Philippe lacht verschmitzt. Hat er den Überfall auf den Präsidentenpalast im Dezember 2001 geplant? „Die Organisation Amerikanischer Staaten hat keine Beweise gefunden“, lacht der Expolizist viel sagend. „Als Haitianer habe ich die Pflicht, das zu tun, was gut für mein Land ist“, sagt er überzeugt.

An die „internationale Gemeinschaft“ und daran, mit einem Wirtschaftsboykott Haitis Staatspräsidenten an den Verhandlungstisch mit der Opposition zu bringen, glaubt Philippe nicht. Mit dem eher links bis liberal einzuordnenden Parteienbündnis „Convergence Démocratique“ will er nichts zu tun haben. Und für die vor kurzem entstandene „Groupe des 184“ der Studenten-, Bauern- und Frauenorganisationen hat er nur ein müdes Lächeln übrig. Als Patriot sei es seine Pflicht, gegen Aristide zu kämpfen – so wie Castro gegen Kubas Diktator Fulgencio Batista kämpfte und Charles de Gaulle für Frankreich. Und so wie die im Grenzgebiet operierende Guerilla aus Exmilitärs? „Patrioten mit noblen Zielen“, sagt Philippe.

Laut dem Haiti-Spezialisten der dominikanischen Tageszeitung Hoy, Pastor Vasquez, werden die rund 100 Mitglieder der aufgelösten haitianischen Armee von Exoberst Oriel Jean geführt, einem Experten in Guerillataktik. Die Gruppe nennt sich angeblich „Armee ohne Mutter“ und agiert laut Philippe nahe der Grenzstadt Belladère. Sie verübte seit November zahlreiche Anschläge und Überfälle und ermordete dabei etwa 25 Parteigänger von Präsident Aristide.

Als das Tonband abgestellt ist, wird Philippe deutlicher. Wenn die „internationale Gemeinschaft“ nicht interveniere oder Aristide nicht zurücktrete, werde Haiti diesen Herbst liberianische Verhältnisse erleben, droht der wie ein Twen aussehende Mittdreißiger. HANS-ULRICH DILLMANN