Bohlens falsche Feinde

Das Abendland ist doch längst untergegangen: Man kann Dieter Bohlen auch ohne Kulturindustrie-These doof finden

Gegen seine Freunde braucht man Dieter Bohlen wahrscheinlich nicht zu verteidigen. Doch manchmal kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass Bohlen doch Schutz vor einer ganzen Reihe von falschen Feinden verdient hat.

Da schlägt man etwa die Welt auf und muss feststellen, dass Bohlens fortwährende Medienpräsenz dem ehemaligen Berliner Kultursenator, CDU-Vorsitzenden, Leiter des Deutschen Historischen Museums und Welt-Feuilletonchef Christoph Stölzl einen solchen Schreck einjagt, dass er sich zum Wiederherstellen seines Seelenfriedens bei Ressentiments bedient, die man selbst bei Kulturkonservativen eigentlich nicht mehr vermutet hätte. Bohlens Lieder seien keine „wirkliche Musik“, denn sie würden nicht „bei der Lektüre“ stören. Außerdem sei Bohlens neues Buch ein „arbeitsteiliges Fließbandprodukt“, wer hier nach „Wahrheit“ frage, habe „die Sache nicht verstanden“.

Die Süddeutsche Zeitung geht gar bis zu Karl Kraus zurück, der ja bekanntlich unter der „Qual des Geschwätzes“ litt, um den „Bohlen-Clan“ begrifflich zu fassen zu kriegen. Und den Frankfurter Soziologen Ulrich Oevermann schüttelt es, wenn er zum 100. Geburtstag von Adorno den Fernseher anschaltet und dort die Bohlen-Sendung „Superstars“ läuft: „Im Unterschied zum autonomen Werk ermöglicht die Kulturindustrie keine lebendige Erfahrung.“ (Als positives Gegenbeispiel für gutes Unterhaltungsfernsehen muss bei Oevermann übrigens Loriot herhalten.)

Was geht hier vor? Dieter Bohlen wird offensichtlich gebraucht. Nicht nur als schwarzer König im großen Celebrity-Schach der Boulevardmedien. So wie seine neuesten Äußerungen dort mit der schönen Regelmäßigkeit von Naturkatastrophen vermeldet werden, ist er unter leichter Veränderung der Vorzeichen ins bürgerliche Feuilleton gewandert, um dort die ebenso saisonal wiederkehrende Kulturkatastrophe zu geben.

Nicht dass das grundsätzlich falsch wäre. Aber die Beharrlichkeit, mit der immer wieder darauf bestanden wird, nun habe der kulturindustrielle Verblendungszusammenhang endgültig eine neue Dimension erreicht, überrascht dann doch. Doch ist das Abendland, vor dessen Hintergrund diese Bedrohungsszenarien immer wieder aufgefahren werden, nicht schon lange untergegangen?

Fast vernünftig kommt einem da die Reaktion des „Wetten, dass …?“-Publikums vom vergangenen Samstag vor, das Dieter Bohlen ausbuhte, als er Arbeitslosen vorwarf, sie wollten ja in Wirklichkeit gar kein Geld verdienen; würden sie sich am Riemen reißen, hätten wir in Deutschland auch wieder eine „Super-Finanzsituation“. Vernünftig ist die Reaktion deshalb, weil das Publikum Bohlen eben nicht als teuflische Chiffre eines immer gleichen Welterklärungssystems begreift: sondern als jemand, der mit seinem Aufsteigertum, der angetäuschten Internationalität seiner Musik, seinem Vorstadt-Machismo und nicht zuletzt durch den Glamour, mit dem er immer wieder die harte Arbeit am Erfolg auflädt, eben tatsächlich der prototypische Repräsentant Deutschlands im Jahre 2003 ist. TOBIAS RAPP