KANZLER SCHRÖDER BEI PRÄSIDENT PUTIN UND „BACK IN THE USSR“
: Vorwärts in die Vergangenheit

Der Kanzler wird heute zum sechsten Mal in diesem Jahr auf Wladimir Putin treffen. Beide verstehen sich gut, und so wollen es die Gerüchte, dass Gerhard Schröder früher als geplant zum privaten Tete-a-Tete in den Ural reist. Viel ist von den deutsch-russischen Regierungskonsultationen nicht zu erwarten, man wird im Schönreden wetteifern. So dürfte die aufregendste Frage sein: Fällt es Gerhard Schöder auf, dass er nicht mehr im postjelzinschen Russland, sondern bereits back in the USSR ist? Er täte gut daran, dem Freund Wladimir den Weg zurück in die Demokratie schmackhaft zu machen – sonst wird Putin, für die fortgesetzten Gräuel in Tschetschenien verantwortlich, nach Milošević als Europas blutigster Minderheitenschinder in die Geschichte eingehen.

Back in the USSR: Zynismus der Macht und Menschenverachtung haben ein Maß erreicht, das an längst überwunden geglaubte Zeiten erinnert. Arroganz, Dummheit und Feigheit sind wieder Tugenden, die für eine Führungsrolle qualifizieren. Dass es dem Kreml gelungen ist, den Westen zum Wegschauen zu animieren, spricht Bände. Der Kremlchef hat sein Handwerk beim früheren KGB hervorragend gelernt.

Die Entwicklung der Demokratie steht und fällt mit der Achtung elementarer Menschenrechte. Und darum ist es schlecht bestellt: Mahner und Andersdenkende werden kaltgestellt, der Kreml hat Russland gleichgeschaltet und dem Land den Winterschlaf verordnet. Fälschlicherweise wird dieser Zustand auch noch als Stabilität interpretiert.

Von dieser Art Stabilität können die Tschetschenen ein Lied singen, das im Westen leider niemand hören will. Zu guter Letzt zwingt der Kreml dieses Volk sogar, einen Kriminellen und Warlord zum Präsidenten zu wählen. Wer wollte da noch von den moralischen Qualitäten derer im Kreml sprechen. Warum sollte die politische Elite, die mit Verbrechern und Verrätern Umgang pflegt, bei der Lösung anderer Aufgaben zivile Kriterien zugrunde legen? Die Wahlen in Tschetschenien fanden in einem Kriegsgebiet statt. Sie geben dennoch einen Vorgeschmack auf das, was bei den kommenden Duma- und Präsidentschaftswahlen zu erwarten ist: Manipulation satt. KLAUS-HELGE DONATH