Wie aus tödlichen Schlägen ein Kassenschlager wird

Legitimer Schmerz einer Mutter oder Verurteilung vor der Zeit? Nadine Trintignant hat ein Buch über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter Marie geschrieben

Es ist eine Abrechnung. Der Aufschrei einer Mutter, deren Tochter totgeschlagen wurde. Einer Mutter, die sich zermartert, weil sie nicht gesehen hat, was sich anbahnte. Einer Mutter, die jetzt hasst – mit einem Hass, der „ständig wächst“. Und einer Mutter, die anklagt. Der letzte Geliebte ihrer Tochter hat in ihrem Buch keinen Namen. Er ist: „dein Mörder“. 85-mal.

Der Tod der Schauspielerin Marie Trintignant hat die Franzosen im Juli aufgeschreckt. Die 41-Jährige war in einem Hotelzimmer in Vilnius so brutal misshandelt worden, dass sie in ein tiefes Koma fiel und nach sechs Tagen verstarb. Der Täter war ihr Geliebter, der Sänger und Texter der Rockband Noir Désir, Bertrand Cantat. Er hatte sie zu Dreharbeiten nach Litauen begleitet, wo Marie zusammen mit ihrer Mutter, der Regisseurin Nadine Trintignant, einen gemeinsamen Fernsehfilm drehte. Seine Verantwortung bestreitet Bertrand Cantat nicht. In der vergangenen Woche hat sich die Mutter zu Wort gemeldet. Ihr Buch „Ma fille, Marie“ schlug wie eine Bombe ein. Nicht nur wegen der Startauflage von 140.000 Exemplaren, sondern vor allem wegen seines Inhalts. Cantats Verteidiger verlangte umgehend eine Verschiebung der Veröffentlichung auf die Zeit nach dem Prozess. Das Buch sei eine Vorverurteilung seines Mandanten, argumentierte er. Eine unzulässige Einflussnahme auf die Justiz. Inzwischen hat ein Gericht in Paris entschieden, dass das Buch erscheinen darf. Inklusive der 85-maligen Bezeichnung „dein Mörder“ und der bislang nicht belegten Behauptung, Bertrand Cantat habe schon früher Frauen misshandelt. Das sei, so das Gericht, ein Ausdruck des Schmerzes einer Mutter.

Die Autorin Nadine Trintignant hat schon öfter Schmerz künstlerisch verarbeitet. Über ihre früh verstorbene andere Tochter Pauline drehte sie einen Film. Über ihren alzheimerkranken Bruder schrieb sie ein Buch. Mit dem jetzt erschienenen Bestseller über Marie will sie Einfluss auf den Prozess gegen Cantat ausüben, der aller Voraussicht nach in Litauen stattfinden wird. Das hat sie in zwei langen Interviews mit den Hochglanzblättern Elle und Paris Match erklärt. „Ich will“, sagte Nadine Trintignant, dass er „möglichst hoch bestraft wird“. Sie will einer Gruppe beitreten, die gegen Gewalt gegen Frauen kämpft.

Der Chef des Verlags Fayard, Claude Durand, hat die Mutter direkt nach der Beerdigung aufgefordert, das Buch zu schreiben. „Es war ihre Art, die Trauer um ihre Tochter zu beginnen“, sagt er. Das Resultat nennt er ein „sehr schönes und sehr bewegendes Buch“.

Bertrand Cantat hatte auch ein Buch in Vorbereitung. Seine Gedichte sollten in diesem Herbst erscheinen. Doch die Veröffentlichung ist verschoben – ohne neuen Termin. Alle Konzerte der von ihm vor knapp 20 Jahren mitgegründeten Rockgruppe Noir Désir sind abgesagt. In den Radios werden ihre Stücke nicht mehr gespielt. Und in den Läden bleiben die Platten der bis zu diesem Sommer bestverkauften Rockgruppe Frankreichs im Regal liegen. DOROTHEA HAHN