Angetrieben vom Willen zum Brückenschlag

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verdankt Susan Sontag in erster Linie ihrem Engagement gegen Kriege

Der Verlag hat sich vorbereitet. Zur Verleihung des Friedenspreises des Deuschen Buchhandels hat er einen Schwung älterer Bücher von Susan Sontag neu aufgelegt: die Essays über Fotografie, ihre Erzählungen „Ich, etc.“ oder den Roman „Liebhaber des Vulkans“. Sogar die Ansprachen morgen zur Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche sind bereits im Sortiment für den Herbst angekündigt. Ein Buch fehlt: „Reise nach Hanoi“, 1969 bei Rowohlt erschienen, ist nur noch antiquarisch zu haben. Das ist seltsam. Immerhin schilderte Sontag in ihrem Reisebericht explizit, wie der US-Krieg in Vietnam das Leben deformiert.

Für das Engagement der Schriftstellerin waren diese Erfahrungen prägend; die Bombardements, aber auch die Berichterstattung darüber. Noch Jahre später schrieb sie, dass vor allem wegen eines Fotos die öffentliche Stimmung in Amerika umgeschlagen sei: „Das Bild eines nackten vietnamesischen Kindes, das, soeben mit amerikanischem Napalm besprüht, eine Straße entlangläuft, direkt auf die Kamera zu, mit ausgestreckten Armen und vor Schmerzen schreiend.“ Das sichtbare Leiden, so Sontag, hätte mehr Kriegsablehnung hervorgerufen als alle Argumente. Dennoch blieb sie skeptisch gegenüber der Verbreitung solcher Bilder: Der Schrecken von Fotos könne nicht nur Entrüstung hervorrufen, sondern auch Abstumpfung.

Diese Ungewissheit beschäftigt Sontag, seit sie als Zwölfjährige erstmals Aufnahmen aus den KZs Dachau und Bergen-Belsen sah. So kommt ihr in diesem Jahr veröffentlichtes Buch „Das Leiden anderer betrachten“ ohne jedes Foto aus. Stattdessen schildert Sontag eindringlich, dass die auf Bildern festgehaltenen Gräueltaten des Krieges, aller Kriege, den Betrachter zwingen, Position zu beziehen. Wer die Darstellung von Leiden sieht, muss nicht automatisch eingreifen, aber er kann die Logik und den Automatismus, nach denen Kriege funktionieren, infrage stellen. Er kann sich an die politisch Verantwortlichen richten.

Sontags Engagement hat ihr den Ruf eingebracht, sich als Intellektuelle nicht auf die sichere Seite des akademischen Diskurses zu schlagen. 1993 ging sie nach Sarajevo, weil sie „einfach nur helfen“ wollte: „Ich hätte Kindern Englisch beigebracht, ich hätte auch in der Krankenversorgung gearbeitet.“ Zuletzt wurde ihre Anteilnahme mit der Aufführung von Becketts „Warten auf Godot“ doch wieder ein kulturelles Statement.

Zugleich macht dieser Wille zum Brückenschlag eine der großen Stärken von Sontag aus. Mit „Krankheit als Metapher“ hat sie ihr eigenes Krebsleiden zum Anlass genommen, um die gesellschaftliche Tabuisierung von Krebs zu kritisieren; später hat sie diese Erfahrungen auf den Umgang mit Aids erweitert. Dass man Sontag deshalb oft auf die Rolle der Moralistin festlegt, hat ihrer schriftstellerischen Karriere nicht geschadet: Für den Roman „In Amerika“ über das Schicksal einer polnischen Emigrantenfamilie im Amerika des späten 19. Jahrhunderts wurde sie 2001 mit dem National Book Award ausgezeichnet.

Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verdankt sie vermutlich trotzdem ihrem Einsatz gegen Kriege. Sontag war gegen den Militäreinsatz in Afghanistan als Reaktion auf die WTC-Attentate, und sie hat sich immer wieder gegen den Irakkrieg ausgesprochen. Weil Bomben keine Politik sind. HARALD FRICKE