Freiheiten eines Heizers

Wladimir Kara-Mursa moderierte einst Russlands erfolgreichste TV-Politsendung. Nachdem auch der letzte unabhängige Sender unter Putin ins Aus gedrängt wurde, überwintert er – im Heizungskeller

aus KLAUS-HELGE DONATH

Wenn Wladimir Kara-Mursa die Treppe in den Kesselraum hinuntersteigt, ist dies mehr als nur der Weg zu einem neuen Arbeitsplatz. Kara-Mursa kehrt zurück in die eigene frühe Biografie und Russlands jüngste Geschichte. Der bekannte Fernsehanalytiker und TV-Anchor arbeitet seit Juli im Moskauer Stadtteil Lefortowo als Heizer. Zwei Tage schiebt er im Keller der Uliza Baumann Schicht, danach stehen ihm zwei Tage Ruhe zu.

Kara-Mursa war einer der politischen Köpfe beim letzten nichtstaatlichen Fernsehsender TWS, den das russische Presseministerium in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni aus dem Äther drängte, für Kara-Mursa bereits die dritte Verbannung, seit Wladimir Putin vor drei Jahren das Ruder im Kreml übernommen hat. 2001 gingen die Handlanger der Macht gegen den unabhängigen Sender NTW vor, dessen Mannschaft zur TV Station TW 6 wechselte. Der wurde ein halbes Jahr später gleichfalls der Garaus gemacht. Stets wegen angeblichen Missmanagements und finanzieller Ungereimtheiten. Schließlich endete auch TWS, vom Kreml zunächst großzügig als Kompromiss toleriert, im publizistischen Off. – Parlaments-und Präsidentschaftswahlen stehen in den nächsten Monaten bevor, da geht der ehemalige Geheimdienstchef Putin lieber auf Nummer Sicher. „Er hat mir mein Programm kaputtgemacht und unser eingespieltes Team zerrieben“, sagt Kara-Mursa und holt die letzte Nummer einer TV-Zeitschrift hervor, die darüber berichtet, dass sein Programm „Grani“ unter allen Politsendungen die höchste Einschaltquote erzielt hatte.

Aus Verbitterung ging Kara-Mursa wieder in den „Untergrund“, wo er schon die kommunistische Zeit überwintert hatte. Trotz Studiums an der Moskauer Universität und guter Karrierechancen jobbte er lieber als Heizer, Pförtner oder Hauswart. „Ich wollte damals nicht von einem kriminellen System profitieren.“ Und heute sei es wieder soweit: Wer daraus Kapital schlage, mache sich mitschuldig, sagt Kara-Mursa. Sein moralischer Rigorismus erinnert an die Kompromisslosigkeit der russischen Intelligenz im 19. Jahrhundert. Maximalismus und Einseitigkeit, die Russland auch teuer zu stehen kamen …

Was der Kesselheizer dem Publikum vorenthielt, aber jetzt erzählt, beunruhigt. Nach der Geiselnahme im Moskauer Musical Theater Nord-Ost im Oktober 2003 stellte sich heraus, dass unter den Leichen der Geiselnehmerinnen eine Tschetschenin war, die aus einem Strafflager stammte und noch Jahre hätte sitzen müssen.

Wer mag sie wohl ins Theater geschafft haben? Der Abgeordnete und Journalist Tschichotschichin ging der Sache nach und erlag vor kurzem einer mysteriösen Infektion. Krankheitsursache könnte ein Kampfstoff sein, den der KGB entwickeln und früher an Dissidenten hatte erproben lassen …

Kara-Mursa macht die obligatorische Runde durch das Labyrinth der Rohre, vorbei an Kesseln, Messgeräten aus Deutschland. Der Heizungskeller ist sauberer als jeder Hauseingang in Moskau.

„Rigorismus“ sinniert Wladimir? – Nein, er habe einfach gezeigt, dass nicht alle Journalisten Angsthasen seien. Überhaupt gebe es zwei Sorten von Medienschaffenden: „Ameisen und fliegende Ameisen. Wenn du Letzteren die Flügel ausreißt, heißt dies nicht, sie mutieren zu Ameisen, dazwischen liegen Millionen Jahre Evolution.“

Heizer und Pförtner verkörperten im Kommunismus Vertreter der Avantgarde. „Die Jobs waren heiß begehrt.“ In einer Mangelgesellschaft hatten sie immerhin ein eigenes Zimmer mit Dusche, keinen Vorgesetzten, der sie rumkommandierte – und eigentlich nicht viel zu tun. Geld gab es trotzdem. „ Ideale Voraussetzungen, zum Dichten, Schreiben, Lesen, Nachdenken und Träumen.“ Kara-Mursa kann eine ganze Reihe von Freunden aufzählen, die wie er begonnen haben und heute Stars im Showbusiness sind. Er selbst stammt aus einer Intellektuellenfamilie, die unter den Stalin’schen Repressionen stark zu leiden hatte. Wohl deswegen registrierte er so genau: Im Umkreis von Präsident Putin – und das sogar im Gegensatz zu dessen Vorgänger Boris Jelzin – hält sich kein einziger Intellektueller auf, der den Namen verdiene. Stattdessen sei der Präsident von „Tschekisten“, Geheimdienstlern, umgeben, die dem Land nur Schaden zugefügt hätten.

Bei der erneuten Einstellung im Kesselraum wurde ihm nun die Grundregel mit auf den Weg gegeben: „Nichts anfassen, nichts verstellen.“ Dafür gebe es schließlich Fachleute. Auch diese Order ist für einen früheren Museumswärter nichts Neues. In seinem kleinen Kabuff stehen eine breite Liege, ein Eisschrank und ein Radio. Im Notfall lässt sich hier im doppelten Sinne überwintern. „Das neosowjetische Fernsehen“ schaut Kara-Mursa ohnehin nicht mehr. Ordnung und Sauberkeit bestechen, der Heizer trägt ein weißes Hemd: „In zehn Jahren unter Jelzin ist viel geschehen, die Geschichte lässt sich nicht mehr zurückdrehen“, sagt er hoffnungsvoll. Wer 18 Jahre Stillstand unter Breschnew überstanden habe, sitze auch diesen sastoij, diesen Stillstand noch aus.

Kara-Mursa besitzt noch ein weiteres Merkmal der alten russischen Intelligenz: Aus Reichtum und Macht macht er sich nicht viel. Als er für eine Illustrierte portraitiert werden soll, mietet das Glanzblatt ein Möbelgeschäft an. Denn seine eigene Wohnung ist – den Tapeten nach – seit 60 Jahren nicht mehr renoviert worden. „Das Image vom TV-Mann hätte sonst nicht gestimmt“, meint er. Dort sitzt der TV-Mann nun mit seiner Familie wie weiland Zar Nikolaus II. – auf dem letzten Foto vor der Exekution.