Sönke Wortmann gelingt mit Hilfe des Fußballwunders von Bern seine Wiederauferstehung
: Jetzt isser wieder wer!

Selten hat ein deutscher Film im Vorfeld so viel Aufsehen erregt, wie Das Wunder von Bern. Ob in Zeitungen, Magazinen oder Talkshows, seit Tagen kann sich niemand dem Film entziehen. In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation und mühseliger EM-Qualifikation scheint sich die vollmundige Behauptung des Kinotrailers, jedes Land brauche eine Legende, zu bewahrheiten. So ist es mehr als unwahrscheinlich, dass der Film, der heute in die Kinos kommt, floppt. Ebenso unwahrscheinlich wie eine Neuauflage des deutschen Wirtschaftswunders.

Dabei ist Das Wunder von Bern mehr als nur die Verfilmung einer Fußball-Legende. Der Film reichert die bekannte Geschichte der WM 54 um zwei weitere Erzählstränge an und verquickt das Ganze zu einem Sittengemälde der jungen Bundesrepublik: Im Mittelpunkt steht die Familie Lubanski, dessen Vater (Peter Lohmeyer) kurz zuvor aus russischer Gefangenschaft zurückkehrt und sich nur schwer im zivilen Leben zurechtfindet. Sein jüngster Sohn Mathias (beachtlich: Lohmeyers Sohn Louis Klamroth), der seinem Vater zum ersten Mal begegnet, ist ein großer Bewunderer von Helmut Rahn und trägt diesem nicht nur die Tasche, sondern verehrt den „Boss“ inzwischen wie eine Art Ersatzvater.

Als komödiantisches Pendant zur konfliktbeladenen Vater-Sohn-Beziehung soll die Geschichte eines Sportreporterpärchens die Handlung ein wenig auflockern. Gerade an diesem langweiligen und obendrein überflüssigen Plot wird das Kiosk-Prinzip dieser Produktion deutlich: Kriegsveteranen, ein kleiner Junge, zwei starke Frauenrollen. Selten ist so offensichtlich um zusätzliche Zielgruppen gebuhlt worden. Als ob die zig Millionen Fußballfans, die sich den Film ohnehin ansehen werden, nicht gereicht hätten. Bei derlei Kalkül mag es erstaunen, dass der Film bereits jetzt erscheint und nicht etwa zeitgleich zur EM 2004, zum 50-jährigen Jubiläum des legendären Endspiels.

Das Wunder von Bern ist der bislang amerikanischste deutsche Film. Sönke Wortmann, der die letzten Jahre in den USA arbeitete, hat dort offenbar dazugelernt: Melodramatische Musik zu fast jeder Szene, unmissverständliche Symbolik, große Gefühle eben. Vor allem aber hat er etwas verlernt, nämlich der Kraft seiner Bilder zu vertrauen. Peter Lohmeyer gelingt es vorzüglich, mit einem einzigen, stoischen Gesichtsausdruck das Gefühl der geschlagenen Nation einzufangen. Aber es geht eben auch noch expliziter: „Wir haben den Krieg verloren, wir verlieren auch dieses Endspiel“, sagt jemand in einer Kneipe, bevor er zum Bier ansetzt. Na dann, prost! Bloß nichts dem Zuschauer überlassen.

Aufatmen darf der nur dann, wenn die Handlung wieder in den Kreis der Mannschaft führt. Hier braucht ihm zu viel Pathos nicht peinlich zu sein und er kann eine Träne vergießen, ohne das Gefühl, einem billigen Drehbuch auf den Leim gegangen zu sein. Denn hier ist der Film authentisch und richtig gut. Nicht nur, weil Fritz Walter pfälzert oder weil Horst Eckel wirklich wie Horst Eckel aussieht, sich sogar wie dieser bewegt. Es sind allen voran die einfachen, wohltuend bedeutungsfreien Fußballer-Dialoge über Mannschafts-Aufstellung und Schraubstollen, die einem die Szenen aus Spiez oft viel näher gehen lassen, als so manche Hauruck-Metapher daheim in Deutschland.

Bei aller Kritik, wichtig is‘ halt doch auf‘m Platz! Und die Art und Weise, wie das Finale in Szene gesetzt wurde, verdient allerhöchste Anerkennung und zeigt, dass Wortmann nicht nur Sachverstand, sondern auch viel Herzblut in diesen Film gesteckt hat. Zentimetergenau wurden die Schlüsselszenen nachgestellt, mit Kamerafahrten, wie man sie bislang nur aus Computerspielen kannte. Selten war ein Spiel so mitreißend und spannend, obwohl man das Ergebnis ja bereits kennt.

Frank Schliedermann

Premiere mit Peter Lohmeyer, Louis Klamroth, Sascha Göpel, Holger Stanislawski u. a., Sa, 19 Uhr, Zeise