Kein Image ist ein Image

Der Sinn des Gesprächs ist, dass es stattfindet. Nach zehn Jahren haben Mark Ernestus und Moritz von Oswald, die Macher des Berliner Technodubprojekts Rhythm & Sound, nun ihr Schweigen gebrochen

von ANDREAS HARTMANN

Das Rauschen des seltsamen plasmaartigen Sees in Stanislav Lems Roman „Solaris“, der Träume und Gedanken materialisieren kann, stellt man sich ähnlich vor, wie das elektronische Blubbern von Rhythm & Sound klingt. Doch so wenig sich der Organismus des sich selbst regulierenden Sees erforschen lässt, kommt man als Hörer der Klangmagie von Rhythm & Sounds auf den Grund.

Lee Perry, der Hexenmeister des Dub-Reggae, behauptete immer, Kontakt mit Außerirdischen zu haben, die ihm bei seinem Mix-Wahnsinn weiterhelfen. Da hat er Solarikern und Rhythm-&-Sound-Fans etwas voraus. Beiden wird die Kontaktaufnahme mit dem Gegenstand ihres Begehrens äußerst schwer gemacht. Denn Mark Ernestus und Moritz von Oswald, den zwei Köpfen hinter Rhythm & Sound, wäre es am liebsten, wenn sie völlig hinter ihrer Musik verschwinden könnten. In gut zehn Jahren haben sie so gut wie keine Interview gegeben. Ihre Namen erscheinen niemals auf ihren Platten, schon seit Jahren treten sie nicht mehr live auf, es existieren keine Pressefotos von ihnen.

Das Anliegen, anonym bleiben zu wollen, war zu Anfang eine durchaus übliche Strategie im Techno, die dazu dienen sollte, die Mechanismen des etablierten Popbetriebs zu unterminieren. Seit Techno im big business angekommen ist, sind solche Verschleierungstaktiken jedoch für die meisten Künstler obsolet geworden. Mark Ernestus und Moritz von Oswald aber hielten sie durch. Bis jetzt.

Vielleicht kamen sie sich vor wie Gefangene. Vielleicht realisierten sie auch, wie sehr ihr Versuch, der Imagemaschinerie zu entkommen, selbst zum Image geworden ist. Bildete sich doch ein riesiger Mythos um von Oswald und Ernestus.

Doch nun, anlässlich von gleich zwei neuen Rythm-&-Sound-CDs (Burial Mix/Indigo), die zusammenfassen, was über die letzten Jahre hinweg mit Hilfe unterschiedlicher Rootsreggae-Vokalisten wie Cornell Campbell oder The Chosen Brothers entstanden ist, darf man den beiden endlich in einer dunklen Ecke ihres Büros gegenübersitzen und sich selbst ein Bild von ihnen machen.

Hier, mitten in Kreuzberg am Spreekanal, wo in den anliegenden Gartenlaubenwirtschaften nachmittags der Milchkaffee im Akkord ausgeschenkt wird, befindet sich in einem Hinterhof, über dem Plattenladen Hardwax, das Büro ihrer Plattenfirma Basic Channel, ganz ohne Hokuspokus.

Seit gut einem Jahrzehnt prägt Basic Channel samt unzähligen Unter- und Nebenplattenfirmen einen Sound, der unbeholfenerweise gerne Berlin-Techno genannt wird, weil er für eine weltweite Fangemeinde das Techno-Berlin eher verkörpert als die Love Parade.

Berlin-Techno ist strikte Undergroundmusik. Stark beeinflusst vom minimalen Detroit-Sound, verzichtet er auf dessen Funk- und Soul- Reminiszenzen zugunsten von ausufernden Hall- und Echo-Effekten, wie sie im jamaikanischen Dub üblich sind.

Rhythm & Sound nun ist jenes der Projekte von Moritz von Oswalds und Mark Ernestus, bei dem sich Techno und Dub ungefähr die Waage halten. Völlig losgelöst vom aktuellen Reggae- und Dancehall-Hype führen sie die Studiohexereien von Dub- Großmeistern wie Lee Perry oder King Tubby als absolute Geheimwissenschaft fort.

Mark Ernestus und Moritz von Oswald gelten als ausgewiesene Reggae- und Dub-Kenner, deren Interesse sich mit der Zeit eindeutig von Techno weg verlagert hat. Das beschränkt sich nicht auf die Musikproduktion: Vor kurzem haben sie ihrem Plattenlabel-Imperium ein Widerveröffentlichungsprogramm angeschlossen und bringen sie den Backkatalog des New Yorker Dublabels Wackies neu heraus, das Anfang der Achtziger aktiv war, und eben haben sie ein neues Sublabel gestartet, auf dem längst vergriffene Dubperlen neu veröffentlicht werden.

Und die beiden hier, diese Kulturpfleger im Dienste der Menschheit, sollen also die cleveren Mythenmacher im eigenen Auftrag sein? Niemals. Wenn Mark Ernestus, dem es sichtbar schwer fällt, seinem Gegenüber in die Augen zu blicken, meint, sie wären einfach nur schüchtern, glaubt man ihm das ganz einfach. Wofür hat man seinen gesunden Menschenverstand?

Natürlich ist diese ganze Veranstaltung, die unerwartete Einladung in die vermeintliche Loge zweier Verschwörer, eine Farce. Fotos dürfen auch weiterhin nicht geschossen werden, die stets höflich formulierten Antworten nicht zitiert werden. Das Ganze ist in Wahrheit kein Interview, sondern ein Kennenlerngespräch.

Geheimnisse werden auf dieser Stufe der Kontaktaufnahme auch nicht preisgegeben, das Rauschen des Gallert-Ozeans von Rhythm & Sound wird weiterhin unergründlich klingen.

Über Hobbys (Reggae, Dub) lässt sich zwar vortrefflich plaudern. Doch allein dass das Gespräch überhaupt stattfindet, ist schon sein tieferer Sinn. Denn nun wissen wir: In Wahrheit sind uns Rhythm & Sound freundlich gesinnt. Am Ende muss man sich dann doch alles wieder anhand dessen zusammenreimen, was man wirklich in der Hand hält, und das sind diese beiden wunderbaren neuen CDs.

Moritz von Oswald, der so unglaublich distinguiert wirkt, dass man ihn wirklich nur schwer mit einer Jugendkultur wie Techno in Verbindung zu bringen vermag, hatte Anfang der Achtziger bei der deutschen Avantgarde-New-Wave-Band Palais Schaumburg getrommelt, doch auch das gehört hier nicht her, lenkt nur vom Wesentlichen ab. Das Wesentliche ist – ja, so einfach kann es dann doch wieder sein – der Rhythmus und der Sound.