kucken se ma: auf bremens leinwand
: Wo Brigitte Bardot zur Bedrohung wird: Der Dokumentarfilm„Elsewhere“ von Nikolaus Geyrhalter

Das Konzept ist in seiner Reinheit bestechend: Ein Jahr, eine Reise, ein Film –zwölf Monate, zwölf Stationen, zwölf Kapitel. Im ersten Jahr des neuen Jahrtausends ist der österreichische Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter einmal um die Erde gereist, um zu zeigen, wie anderswo gelebt wird. Dafür hat er sich möglichst weit von der urbanen Welt entfernt, denn grundsätzlich lebt man ja inzwischen in Bremen kaum anders als in Seattle, Seoul oder Sydney. Hier wie da sitzt man zum Beispiel auf Stühlen. In den vier Stunden des Films sieht man aber höchstens fünf Mal Menschen auf Möbeln sitzen.

Dies ist eines der vielen Aha-Erlebnisse von „Elsewhere“– ein Film, der sich die Zeit nimmt, zu zeigen, wie der Alltag in der Wüste, im Eis, im Dschungel oder auf den Bergen aussieht. Jeweils für 20 Minuten begleiten wir Menschen im Niger, auf Java, in Grönland… – zwölfmal irgendwo, immer weit weg. Zum Teil erzählen sie direkt in die Kamera, zum Teil folgt diese ihnen, manchmal läuft sie dann auch automatisch weiter, und ein kecker chinesischer Bengel schleicht sich aus dem Bild und ruft: „Oma, in dem kleinen Loch in der Kamera kann ich sehen, wie du deine Schale ausschleckst.“

Solche Momentaufnahmen machen den Charme aus: Der Film lässt sich Zeit zu zeigen, wie sich Tuareg bei der Ankunft einer Karawane in einem langen Zeremoniell begrüßen, und wir hören das seltsame Schnalzen, das zum rituellen Handschlag gehört. Der Ton ist wichtig: Jeder Abschnitt beginnt mit ein paar Sekunden Schwarzfilm, sodass man erst einmal hört, wie es klingt, wenn das Eis klirrt oder das Unterholz im australischen Busch brandgerodet wird.

Geyrhalter, der selbst die Kamera geführt hat, drängt sich nie filmisch in den Vordergrund. Er schwenkt nur, wenn es gar nicht anders geht. Am liebsten hält er das Bild statisch und zwingt so, genau hinzusehen. Viele Einstellungen sind traumhaft schön – doch darum, dass er sich auch bei der Komposition große Mühe gegeben hat, macht der Filmer nicht viel Aufhebens. Man hat auch nie das Gefühl, er würde den Menschen zu nah auf den Pelz rücken oder sie als Exoten ausstellen. Sie selbst zeigen und erzählen nur, was sie wollen – und das ist so fremdartig, dass es wichtig ist, auf jede Geste und jedes Wort zu achten.

Mit welchem Ausdruck in den Augen schaut die junge Frau im namibischen Kaokoland zu, wenn die zweite Frau ihres Mannes diesem zärtlich seinen Halsring einfettet? Und in der Sprache des südpazifischen Woleai Atolls gibt es zwar keine Worte für Eis, Nord- oderSüdpol, denn dafür muss die junge Lehrerin Lavinai jeweils die englischen Vokabeln benutzen. Aber sie hat Angst davor, dass die Polkappen schmelzen und ihre kleine Insel, die kaum aus dem Meer herausragt, untergeht.

„Elsewhere“ zeigt alles andere als eine heile Welt in der Ferne. All diese Gesellschaften sind bedroht: Der sibirische Rentierzüchter muss seine Gegend verlassen, weil in der Nähe nach Öl gebohrt wird: „Fast alle Fische sind verschwunden. Die Gänse fliegen in die Flammen der Ölpumpen. Nur toteTiere liegen um die Fackeln herum.“ Die Robbenfänger in Grönland beklagen sich über Brigitte Bardot, die durch ihre Kampagne gegen die Robbenjagd ihre Lebensgrundlage bedrohe. Und der indianische Künstler Dennis Nyce baut zwar einen riesigen neuen Totempfahl für seinen Stamm, kann aber dessen Sprache nicht mehr sprechen, weil sie in der Schule aus ihm herausgeprügelt wurde. Wilfried Hippen

„Elsewhere“, Kino 46, OmU, täglich bis Mittwoch, jeweils um 18 Uhr