Keine Kohle für Atomkraft

Reaktoren passen weder ökonomisch noch technisch in den liberalisierten Strommarkt. Die derzeitigen Wiederbelebungsversuche aus Baden-Württemberg sind daher absurd

Erneuerbare Energie braucht Subventionen, um marktfähig zu werden – Atomkraft braucht sie immer

Man sieht sie förmlich auf den Boden stampfen und rufen: „Wir wollen unsere Atomkraft wieder haben.“ Stuttgarts Wirtschaftsminister Walter Döring fordert eine Verlängerung der Laufzeit von Atomreaktoren auf 50 Jahre. Seine Kabinettskollegin, Kultusministerin Annette Schavan, regt den Bau neuer Atommeiler im Lande an. Und Ministerpräsident Erwin Teufel schwadroniert von neuen Reaktoren und von „einer Option“, die man sich „offen halten“ müsse. Man darf sich sicher sein: Weitere Vorstöße werden folgen.

Rational sind diese Beiträge zur Energiedebatte nicht. Denn der Vorschlag, in Deutschland wieder Atomkraftwerke zu bauen, ist absurd: Die Meiler sind mit einem liberalisierten Strommarkt nicht kompatibel. Die gigantischen Investitionen zum Bau eines Atomreaktors amortisieren sich niemals in Zeiträumen, die ein Investor überblickt. Bei Gaskraftwerken ist das anders – weswegen Atom gegen Gas am Markt keine Chance hat.

Zudem: Nicht nur ökonomisch, auch technisch gesehen passt der Atomstrom nicht mehr in die Kraftwerkslandschaft. Denn längst sind die kernspaltenden Moloche für das moderne Stromnetz viel zu träge. In einer Zeit, da wir uns in Deutschland einer installierten Windkraftleistung von 14.000 Megawatt nähern und mit Offshore-Anlagen die 30.000 Megawatt anvisieren, sind Atomkraftwerke schlicht die falsche Technik, um ausreichend flexibel auf die Schwankungen der Erzeugung reagieren zu können. Und so läuft bei sachlicher Betrachtung auch aus diesem Blickwinkel alles auf Gas hinaus – im Idealfall dezentral verstromt mit gleichzeitiger Wärmenutzung.

Dass es trotzdem Menschen gibt, die beratungsresistent auf weitere Atommeiler setzen, liegt mehr in ihren persönlichen Biografien begründet als in handfesten Argumenten. Denn für einen Atomfanatiker muss die Entwicklung der jüngsten Zeit wirklich hart sein: Da hat man seit Jahren die These verbreitet, dass ohne Atomstrom nichts mehr geht im Lande – und plötzlich drohen die Fakten das Gegenteil zu beweisen. Der Reaktor Stade wird dieses Jahr vom Netz gehen, und voraussichtlich wird es kein Stromkunde bemerken. Und auch nach den weiteren Schritten des Atomausstiegs ist kein Mangel an Elektrizität zu vermuten. Schwer zu verkraften für jemanden, der seit jeher die Unverzichtbarkeit der Atomspaltung predigt.

Also bäumen sich die Freunde des Atoms noch einmal auf. Kein Zufall, dass sie es gerade jetzt tun: In den nächsten Jahren stehen wichtige Entscheidungen an. Weil die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebauten Kraftwerke in großer Zahl abgeschaltet werden müssen, steht Deutschland vor einer Neuausrichtung der Stromwirtschaft in nicht gekanntem Ausmaß. 145 fossil befeuerte Kraftwerksblöcke sind älter als 35 Jahre und müssen in den nächsten Jahren vom Netz gehen. Hinzu kommen die auslaufenden Atommeiler. Es geht um bundesweit 40.000 Megawatt, die bis 2020 ersetzt werden müssen. Folglich werden die kommenden Jahre darüber entscheiden, wie der Strommix zur Mitte des Jahrhunderts aussehen wird.

Mehr oder weniger offen kämpft daher längst jeder gegen jeden. Kohle gegen Gas (wie zuletzt Wirtschaftsminister Clement gegen Umweltminister Trittin in Hürth bei der Genehmigung eines hocheffizienten Gaskraftwerks), Gas gegen Atom und Atom wiederum gegen Kohle. Und alle fossilen Energien fürchten vereint mit der Atomkraft den Vormarsch der erneuerbaren Energien. Kurz: Man muss kein Prophet sein, um der Energiepolitik in diesem Land heiße Jahre vorauszusagen.

Fatal, dass dabei besonders die erneuerbaren Energien unter Druck geraten. Von den herrschenden Machtverhältnissen her ist das nahe liegend: Weil jede Kilowattstunde Ökostrom den Markt der alteingesessenen Stromkonzerne beschneidet, sind die erneuerbaren Energien längst zum gemeinsamen Feind des energiepolitischen Establishments geworden. Zumal es inzwischen um echte Mengen geht. Soeben hat in Deutschland die Windkraft die Wasserkraft überflügelt, und der prozentuale Anteil des Ökostroms im Netz steht an der Grenze zweistellig zu werden. Das angeblich Unmögliche ist damit Realität geworden. Unvergessen ist die Anzeige der Stromwirtschaft von 1993: „Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“

Bekommt der Ökostrom faire Chancen, wird er noch erfolgreicher – denn stetig nähert sich der Windstrom den Marktpreisen: Die Kosten einer Kilowattstunde Windstrom sind in den vergangenen zwölf Jahren um 55 Prozent gesunken. In zehn Jahren wird Windstrom konkurrenzfähigsein.

Ähnlich entwickelt sich der Sonnenstrom. 1990 kostete eine Solaranlage noch 13.500 Euro pro Kilowatt, heute sind es 6.000 Euro. So wird im Jahr 2020 die Fotovoltaik zu Spitzenlastzeiten bereits zu marktgerechten Preisen produzieren können. Denn die Erfahrung zeigt, dass jede Verdopplung des Verkaufsvolumens von Solarzellen 20 Prozent Preisreduktion bringt. Nicht überraschend, dass bei solchen Perspektiven die Freunde der Atomkraft in die Offensive gehen.

Allein, es wird ihnen nichts nützen. Mit einer Einschränkung: Sollte eines Tages der Staat tief in die Kasse greifen und die Atomkraft mit Milliardenbeträgen subventionieren, dann, und nur dann, könnte der Irrsinn von Neubauten tatsächlich aktuell werden. Zu hoffen ist, dass dies zumindest die Haushaltslage – wenn schon nicht die Vernunft – vereitelt. Der Einwand, auch die erneuerbaren Energien seien mit Subventionen gemästet, trägt nicht. Auch solche Behauptungen gehören zwar zum Arsenal der Atomfreunde, wenn es darum geht, Stimmung gegen Ökostrom zu machen. Wahr werden sie dadurch nicht. Faktisch bekommen die gesamten erneuerbaren Energien in Deutschland weniger Geld vom Staat als solche Kuriositäten wie die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein. Nachzulesen im Subventionsbericht der Bundesregierung.

Längst sind diekernspaltendenMoloche für das moderne Stromnetz viel zu träge

Das Einzige, was die erneuerbaren Energien bekommen, sind staatlich garantierte Mindestpreise für den eingespeisten Strom. Aber sind das Subventionen? Vorsicht: Mit gleicher Argumentation müsste man auch einen Bauarbeiter, der seine Arbeitskraft nicht zu Marktkonditionen anbietet, sondern einen staatlich garantierten (höheren) Mindestlohn erhält, als Subventionsempfänger bezeichnen. Was zu Recht niemand tut.

Um auf die Atomkraft zurückzukommen: Der entscheidende Unterschied ist der, dass die erneuerbaren Energien mittels staatlicher Hilfe marktfähig gemacht werden, damit sie eines Tages konkurrenzfähig sind. Schon heute werden die Vergütungssätze daher Jahr für Jahr zurückgeschraubt. Der Neubau von Atomkraftwerken aber wird bis in alle Ewigkeit Subventionen brauchen. Und diese zu bezahlen, wäre – von den anderen Problemen der Atomkraft ganz zu schweigen – schlicht irrational.

BERNWARD JANZING