Ist Bremen wirklich dumm?

Die Pisa-Show in der ARD hatte etwas von der neuen Pisa-Intelligenz. Doch nun kommt in der echten Welt Pisa für Erwachsene. Das ist auf dem Weg in die Wissensgesellschaft wirklich interessant

von REINHARD KAHL

Ob das wohl ein Erfolg wird? Pisa, der Ländertest, das ARD-Spektakel am Samstagabend, kam als Realityshow daher. „In welchem Bundesland leben die klügsten Deutschen?“, drohte gleich die Stimme aus dem Off. Da zuckten die Kandidaten und johlten erst mal TV-gerecht.

Wettkampf aller 16 Bundesländer: Sachsen-Anhalt mit Reinhard Höppner, Ministerpräsident und Doktor der Mathematik (dachte bei einer Matheaufgabe falsch und schätzte bei einer anderen richtig). Schleswig-Holstein mit dem Jürgen Drews als Frontman (der Norden schnitt trotzdem gut ab). Mecklenburg-Vorpommern mit Christoph Biemann von der ARD-„Maus“ (versagte in einer Sachgeschichte).

„Wie dumm ist Deutschland wirklich?“ heißt es in der Unterzeile der neuen öffentlich-rechtlichen Unterhaltung. Klingt schon wieder nach Paukschule, Sitzenbleiben und Noten von Anfang an. Das sind, wie man spätestens seit der Pisa-Studie weiß, die klassischen Lernbehinderungen der Schulen in diesem Land. Pisa-Sieger wie Finnland und Kanada sind eher entspannt und im Zweifel ins Gelingen verliebt, nicht ins Aussieben.

Dennoch schalten wir am Samstag nicht ab. Vielleicht gelingt es den Deutschen ja heute, mit Pisa zu spielen? Das wäre nicht der geringste Beitrag zum Abschied von der alten Schule, die dem Nachwuchs immer noch beibringt, Lernen sei eine bittere Medizin und Freude beim Lernen eher verdächtig.

Nun kann eine Fernsehsendung nichts als Fernsehen machen, und Wissen im Fernsehen ist gewöhnlich Quizwissen. Die Fragen am Samstag hatten dennoch durchaus was von der neuen Pisa-Intelligenz. „Pisa heißt um die Ecke denken, nicht bloß rechnen“, sagte Pilawa, der artige und immer gut gelaunte Moderator.

Also denken: Sinkt oder steigt der Wasserstand, wenn ein Goldbarren auf einer Luftmatratze liegt oder wenn er ins Wasser fällt? Da muss man was über den Unterschied von Volumen und Dichte wissen und eben ein bisschen denken.

Nun, welch ein Zufall, begibt es sich, dass just in diesen Tagen bekannt wird, dass Pisa bald nicht mehr nur der Test für die Fünfzehnjährigen sein wird. „Pisa für alle“, einen weltweiten Test der Erwachsenen plant die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die schon Pisa für die Schüler erfand.

Was im Thinktank der 30 stärksten Industriestaaten ausgeheckt wird, ist wirklich interessant. Worauf wird es beim Humankapital künftig ankommen? Ganz kurz: Erstens Informationen erfassen und selbstständig damit umgehen. Zweitens Probleme lösen. Drittens „interpersonelle Kompetenz“, also mit anderen zusammenarbeiten. Viertens schließlich die „intrapersonale Kompetenz“ – und die bedeutet, selbst was wollen, sozusagen Lernen als Vorfreude auf sich selbst. „Lernen, Wissen und Kultur“, sagt Andreas Schleicher, internationaler Pisa-Koordinator, „werden die wichtigsten Produktivkräfte der Wissensgesellschaft sein.“

Die Kompetenzen von Pisa für alle werden die deutsche Pisa-Irritation weiter treiben. Verschiedene internationale Schulstudien zeichneten unser Land bisher als Abstiegskandidaten, weil die Schüler nur in der Routine noch ganz gut, beim Problemlösen aber mau sind. Pisa ist seitdem die Metapher für unsere Schwierigkeiten im Übergang von der angestrengten und misstrauischen Industrie- zu einer selbstbewussteren Wissensgesellschaft. Eins steht fest. Künftig wird es nicht mehr reichen, ein Leben lang zu fragen, Mutti, welches Bild soll ich jetzt malen?

Aber nun geht es vielleicht doch aufwärts. Nicht so sehr wegen der Bengel und Mädels von der letzten Bank, der 16 Kultusminister samt Bagage in ihrer Administration und einer vorsintflutlichen Lehrplanwirtschaft. Es gibt 4.000 Lehrpläne in Deutschland. In Finnland hat man nur einen, und der kommt mit 180 Seiten aus. Die ganze Schulaufsicht wurde dort in den 90er-Jahren abgeschafft.

Auch bei uns können es die Leute besser als die Vorturner. Das war am Samstag in 161 dann doch kurzweiligen Fernsehminuten zu sehen. Pilawa ließ seine Lehrerspielchen („Alexandra, pass auf!“) und hörte mit dem Kokettieren auf („Ich war in Mathe grottenschlecht“). Manche Fragen waren so gut, dass das Knobeln und Denken richtig spannend wurde. Die meisten Bundesländer waren mal gut und mal schlecht.

Dass an diesem Abend wirklich repräsentative Ergebnisse rauskommen können, glaubt ja wohl keiner. Dass Bremen allerdings wieder Schlusslicht ist, gibt natürlich zu denken. Thüringen ist vorn. Und Brandenburg hat den Kandidaten mit den meisten Punkten. Achim Mentzel, MDR-Schlagermoderator, löste 58,8 Prozent aller Aufgaben.