die aok rät dem reformkanzler:
: Lächeln statt hecheln

Glückliche Schüler. Glückliche Azubis. Glückliche Steuerzahler. Und dazu die Botschaft: „Deutschland bewegt sich.“ Auf Plakaten und in Anzeigen wirbt die Bundesregierung derzeit für ihr Reformprogramm. Oder sollte man besser sagen: Sie warb? Denn gestern widersprach der AOK-Bundesverband mit einer wissenschaftlichen Studie. „Deutschland bewegt sich falsch“, so das Fazit der selbst ernannten „Gesundheitskasse“.

Zwei Professoren der Sporthochschule Köln haben das Laufverhalten von rund 350 Freizeitsportlern untersucht. Das Ergebnis sollte dem Reformkanzler Gerhard Schröder bei seinem herbstlichen Marathon zu denken geben.

Die Dringlichkeit der Reformen wird auch von den Experten nicht bestritten. „Wir haben den gesunden Stoffwechselweg dramatisch vernachlässigt“, sagt der Kreislaufforscher Hans Georg Predel. In den bewegungsarmen Jahren hätten die trägen Deutschen von der Substanz gelebt und die wenigen Belastungsspitzen mit Hilfe eines ungesunden „Extremstoffwechels“ überbrückt. Das bedeutet: zu wenig Fettverbrennung, zu viel Zuckerstoffwechsel, im Extremfall Herzrhythmusstörungen.

Die Frage aber ist, ob Schröder aus diesem Befund die richtigen Konsequenzen zieht. Es sei ein typisch männliches Verhalten, beim Training zu wenig auf die Körpersignale zu achten, so der Sportpsychologe Henning Allmer. Bei diesem Sportlertypus stehe nicht die „Freude an der Bewegung“ im Vordergrund, sondern das Durchhalten hart am Rand der Leistungsgrenze. „Salopp gesagt: Wenn ich kurz vor dem Kotzen bin, dann habe ich gut trainiert“, sagte Allmer bei der Präsentation der Studie.

Untersucht haben die Wissenschaftler auch die fatalen Auswirkungen des Fraktionszwangs. „In der Gruppe entsteht ein Sog-Effekt. Man läuft mit, weil man die anderen ja nicht weglaufen lassen kann“, glaubt Psychologe Allmer. Besonders negativ sei dieser Effekt bei Neueinsteigern. Sie fühlten sich im Gruppenlauf sehr schnell erschöpft.

Beim Reformtempo mahnen die Experten zu mehr Rücksicht auf den Koalitionspartner. Beim Paarlaufen „überfordern sich die einen und unterfordern sich die anderen“, so Allmer. Ein anaerober Stoffwechsel infolge von Überforderung lasse den leistungsschwächeren Partner oft gar nicht gut aussehen. Kreislaufexperte Predel rät daher, „die Belastung so zu dosieren, dass wir vom roten wieder in den grünen Bereich kommen“.

Gleichzeitig muss die Regierung nach Ansicht der Forscher mehr Augenmerk auf den Mentalitätswandel legen. Mann müsse der Bevölkerung „den Lebensstilwechsel schmackhaft machen“, sagte Predel. Die Koalition könne ihre Lebenserwartung durch regelmäßige Bewegung zwar um bis zu drei Jahre verlängern. Gleichzeitig verbringe sie aber in der Summe auch drei Jahre beim Reform-Sport. „Wenn es eine Quälerei wäre, dann wäre es also ein Nullsummenspiel.“ Deshalb müsse die Anstrengung auch „Spaß machen“. Aber bis dahin müsse man „erst mal kommen“, denn die „Einstiegsphase“ könne durchaus hart sein. Hier gelte es, Niederlagen durchzustehen.

Solche Belastungen dürften aber nicht dazu führen, wieder in die alte Bewegungslosigkeit zurückzufallen. „Im Vergleich zur Unterforderung ist die Überforderung zwar die größere Gefahr“, so der Mediziner, „aber nicht im Vergleich zu völliger Bewegungslosigkeit.“ Große Sorgen macht dem Fachmann, dass die Lauf-Agenda aus seiner Sicht sozial nicht ausgewogen ist. Es gebe „einen enormen Zusammenhang zwischen sozialem Status und Bewegungsumfang“.

Klingt ganz schön schwierig. Was soll der Sportler also tun? „Weniger den Kopf benutzen als das Herz“, rät Psychologe Allmer. Mediziner Predel lässt den Kanzler hoffen: „Sportler leben nicht unbedingt länger, aber sie sterben gesünder.“ RALPH BOLLMANN