Lieber Schnaps und Einsamkeit

Der Literaturbetrieb, auf Bildungsadel getrimmt: Toni Morrison posiert als Model für eine Rolex-Anzeige

Geschichten, die vom Geschichtenerzählen erzählen, gibt es viele; manchmal lassen sie sich in einem Bild zusammenfassen. Handke in Princeton, Goetz in Klagenfurt: junge Männer, die dem Literaturbetrieb ihre Verachtung entgegenspucken und den Literaturbetrieb gerade darin bestärken – die Grundgeschichte von dem Junggenie, das von außen kommt und etwas Neues zu erzählen hat, Geschichten, die du noch nie zuvor gehört.

Dann – eine andere Geschichte vom Geschichtenerzählen – die vielen Männer an ihren Schreibmaschinen, mit und ohne Schnapsflasche, gerne von Kinofilmen genommen, häufig auch in Rahmenhandlungen von Romanen selbst reflektiert. Oft steckt hier etwas drin von der Qual des Geschichtenerzählens, am konsequentesten weitergedreht von Stanley Kubrick in „Shining“: Der Moment, in dem klar wird, dass aus dem, was Jack Nicholson da in die Maschine hackt, nie und nimmer eine Geschichte werden wird, ist der Moment, in dem der Horror endgültig ausbricht. Diese Geschichten vom Nichtgeschichtenerzählen gab es auch in Deutschland, ohne Horror, aber mit Empathie: Wolfgang Koeppen, Uwe Johnson; lange Zeit galten scheiternde Schriftsteller als besonders schick. Aus dem anderen Teil Deutschlands drang dagegen die große Geschichte vom oppositionellen Erzählen, das offenbar sehr fruchtbar war. Deutschlehrer erzählen bis heute davon.

In den allermeisten Geschichten stellte man sich das Geschichtenerzählen also als etwas Bedrängtes vor, etwas Verschwitztes ist da drin, zerzauste Haare, Einsamkeit, Verfolgung, auch Scheitern. Wie anders dagegen ist die Geschichte, die Rolex nun erzählt! Rolex, die Uhren- und Juwelenfirma. Rolex, die Firma, die in ihrer Eigenschaft als „Mentor and Protegé“ einer „Arts Initiative“ gerade Anzeigen in deutschen Zeitschriften schaltet. Die Nobelpreisträgerin Toni Morrison sieht man darin mit ihrer „Meisterschülerin“ Julia Leigh. Beide Autorinnen tragen würdiges Schwarz. Toni Morrison dazu dezente Perlen. Unter dem Foto stehen zwei Sätze: „Einen Roman zu vollenden, ist erfüllend. Das Spannendste aber ist, ihn zu schreiben.“ Als sei es ein Cross-over von Literaturen und Schöner Wohnen. Das Geschichtenerzählen als Fetisch eines gelingenden Lebens, diese Geschichte ist in unserem verschwitzten Literaturdeutschland noch nicht oft erzählt worden.

Aber gedacht. Die Anzeige ist kunstbeflissen oder meinetwegen sogar kunstreligiös wie nur irgendetwas (zum Beispiel wie das Interview von Ulla Berkéwicz im aktuellen Spiegel), was am Umfeld liegt. Die Kunstinitiative von Rolex erstreckt sich auch auf die Sparten Tanz, Bildende Kunst, klassische Musik, da ist man weihevolles Sprechen eher gewohnt. Vielleicht dockt diese auf Bildungsadel getrimmte Geschichte vom Geschichtenerzählen ja bei den neokonservativen Tendenzen an, die sich am Erfolg des „Manieren“-Buches festmachen lassen. Vielleicht auch nicht, ist ja nur eine Anzeige. Aber als liberaler Ironiker möchte man vorsorglich einen Satz loswerden: Lieber Horror, Schnaps und Einsamkeit als einen Literaturbetrieb, in dem Bücher nicht einfach geschrieben, sondern wie in der Anzeige „vollendet“ werden. DIRK KNIPPHALS