Zerstört seit Jahren

Als der Krieg kam, war das Theater schon längst am Ende: Irakische Theatermacher auf einem Podium in Berlin

Am Montag starben in Bagdad bei einer Anschlagsserie über 40 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Am Dienstag wurde der stellvertretende Bürgermeister ermordet, bei Falludscha riss ein Selbstmordattentäter sieben Menschen mit in den Tod. Am selben Abend fand im Berliner Haus der Kulturen der Welt eine Podiumsdiskussion über das Theater im Irak statt. Das klang nach Paul Virilio oder wie ein zynischer schlechter Witz.

Gemeint war es selbstverständlich nicht so. Die Veranstaltung war vom Goethe-Institut und dem Theater an der Ruhr lange vor dem verheerenden Beginn dieses Ramadan geplant. Roberto Ciulli, Direktor des Theaters in Mühlheim, initiiert mit seinem „Seidenstraßenprojekt“ bereits seit Jahren Begegnungen mit Theatermachern aus der arabischen Welt – auch wenn er „Seidenstraße“ einen utopischen Begriff nennt, der mit Waffen- und Drogenstraße präziser gefasst wäre. In Berlin brachte er nun die „Tragpfeiler des irakischen Theaters“ zusammen, wie sie der Theaterwissenschaftler Awni Karoumi vorstellte: sieben ehrwürdige alte Herren in grauen Anzügen, die etwas müde und verloren auf dem Podium saßen. Vielleicht lag das daran, dass ihnen ihr Theater schon vor Jahren abhanden gekommen ist.

„Die Trümmer, von denen wir reden, sind nicht die, die die Amerikaner hinterlassen haben“, stellte Aziz Chaiyun Adschil, ehemaliger Direktor des Nationaltheaters Bagdad, klar, „sondern die Trümmer einer anhaltenden Zerstörung seit 25, seit 40 Jahren. Sorge macht uns, dass auch der Mensch zerstört wurde.“ Während der Diktatur, ergänzt der Vater des modernen irakischen Theaters Jaafer el Saadi, „gab es keine Chance: entweder Schweigen oder Flucht. Als der Krieg kam, war das Theater schon am Ende.“ 250 Theatermacher haben das Land verlassen, die Übriggebliebenen arbeiteten als Sprachrohr für das System oder übten vorsichtig das Sprechen zwischen den Zeilen. Heute ist die Situation nicht einfacher: Am Abend herrscht Ausgangssperre, und am Tag versuchen die Leute, Geld zu verdienen. Hinzu kommen ruinierte Theatergebäude und Stromsperren. „Die derzeitige Lage“, bestätigt der Dramatiker Faruq Muhammad, „erlaubt uns nicht einmal das Denken.“

Vor einer Woche waren sich die Männer, von denen die Hälfte im Exil lebt, erstmals in Mühlheim begegnet. Gemeinsam schrieben sie ein Manifest. Das Theater wird darin als Hort der Formung eines neuen Bewusstseins gepriesen; von Freiheit und Aufbruch ist die Rede, von der Bühne als Brücke zwischen Tradition und Moderne, von einer menschlichen Kultur und der Heilung der Seele. Viele schöne Worte, aber man zweifelt ein wenig, ob diese alten Männer sie allein in die Tat umsetzen können. Ob es auch junge Menschen im irakischen Theater gebe, fragt ein arabisches Mädchen schüchtern aus dem Publikum. „ Es wird schnell zerstört und langsam aufgebaut“, entgegnen die Herren weise. CHRISTIANE KÜHL