Zwischen Kanzel und Fernsehkameras

Wolfgang Huber wurde neuer EKD-Ratsvorsitzender – und sprach über Kopftuchstreit und Sozialreformen

TRIER taz ■ Eine letzte Hürde, eine allerletzte. Jetzt doch noch ein Scheitern in letzter Minute, wegen einer Formalie? Bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Trier musste die Präses Barbara Rinke für die Wahl zum Vorsitzenden des Rates neue Wahlzettel ausgeben. Die zuvor ausgeteilten hatten die Option „Nein“ gar nicht vorgesehen. Doch nachdem der bezeichnende Fehler behoben worden war, ging alles ganz schnell: Der Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber (61), wurde um 10.11 Uhr mit 121 von 135 Stimmen bei acht Enthaltungen und sechs Neinstimmen zum höchsten Repräsentanten des deutschen Protestantismus gewählt.

„Wer bis ans Ende beharrt, der wird selig werden“, zitierte ein gottesfürchtiger Beobachter der Wahl den Evangelisten Matthäus (24,13) – tatsächlich hat Huber bereits sehr lange um dieses Amt gekämpft und war schon bei der letzten Wahlsynode 1997 in Wetzlar gegen Manfred Kock nur überraschend gescheitert. Damals kamen dem Gescheiterten vor Anspannung die Tränen. Doch nun krönt er mit seiner Wahl einen Lebensweg, der von großem Ehrgeiz geprägt war und zugleich einen Ausblick darauf erlaubt, welche Schwerpunkte er wohl als EKD-Vorsitzender setzen wird.

Geboren als jüngster von fünf Söhnen des wegen zeitweiliger Führergläubigkeit umstrittenen Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber, wuchs Wolfgang Huber in einer Juristenfamilie auf, in der politisches Engagement groß geschrieben wurde. Ein Großvater war Außenminister in der Weimarer Republik. Wolfgang Huber betrachtete seinen protestantischen Glauben auch als Aufforderung zum Einsatz in der Politik – ganz nach dem Vorbild seines großen Vorbilds Dietrich Bonhoeffer, der als evangelischer Jahrhundert-Theologe in der Nazizeit in den Widerstand ging und als Regimegegner kurz vor Kriegsende hingerichtet wurde. Eine Büste Bonhoeffers steht in Hubers Berliner Büro, was er auch bei seiner Kandidatenrede vor der Ratswahl zu erwähnen für nötig hielt.

Politik machen aus christlichem Engagement heraus, das bedeutete für Huber eine sozialethisch-theologische Analyse der Gewaltfrage, von den Zeiten der Nachrüstung bis zum Kosovo- und Irakkrieg. Doch das Geistliche ging immer dem Weltlichen vor: Zugunsten des Bischofsamtes in der Hauptstadt verzichtete er 1994 auf die Kandidatur um ein Bundestagsmandat für die SPD. In den vergangenen Jahren hat er sich als Mitglied des Nationalen Ethikrates zur Gentechnik vor allem zu diesen ethisch-politischen Dilemmata öffentlich geäußert: mit klaren Plädoyers zum Schutz der Embryonen etwa, natürlich theologisch begründet.

Vor diesem biografischen und politischen Hintergrund ist sehr wahrscheinlich, wohin die Reise der EKD unter Huber gehen wird: Der Intellektuelle, zu dessen 60. Geburtstag vergangenes Jahr fast die gesamte Staatsspitze einschließlich des Bundespräsidenten und des Kanzlers zum Gratulieren kam, ist eindeutig ein Vertreter eines politisch akzentuierten Protestantismus. Auch wenn er bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl betonte, dass der öffentliche Einspruch ins politische Geschehen von seiten des Protestantismus nur die „Außenseite“ des Glaubens sei, der sich vor allem zwischen Gott und dem Gläubigen direkt bei Gebet und Gottesdienst abspiele – danach sprach Huber eben doch fast nur noch über Politik. Ob Kopftuchdebatte (Gesetz nötig, aber eher Einzelfallprüfung) oder Sozialreformen („gravierende Einschnitte“ nötig), ob die EU-Verfassung (christliche Tradition Europas betonen) oder die Steuer- und Generationengerechtigkeit (Nachhaltigkeit beachten): Huber wird die EKD auch in der Tagespolitik immer klar zu positionieren versuchen. So weit jedenfalls, wie es der schwerfällige, wenn auch demokratische Aufbau des deutschen Protestantismus mit seinen 24 Gliedkirchen erlaubt.

Huber ist öffentlich eher ein steifer Typ, der nicht der gute Seelsorger und Opa sein kann, für den sein Vorgänger Manfred Kock durchgehen konnte. Um die Seele der EKD wird er sich wohl auch deshalb weniger kümmern als um die Gesellschaft und Politik um sie herum. Der neue Kopf der protestantischen Kirche wird weniger auf einer Kanzel zu sehen sein als vor weltlichen Fernsehkameras.

PHILIPP GESSLER