Ein amerikanischer Märtyrer

Der Prophet Michael Moore auf Deutschland-Tour: Er ist kein Jesus. Eher einer, der den Weg bereitet. Wie Johannes der Täufer. Dem wurde der Kopf abgeschlagen. Und Moore? Auch er wird sterben

„Ich gehöre nicht zu den traurigen Linken, die nicht wollen, dass man lacht“

aus Berlin STEFAN KUZMANY

Michael Moore wird sterben. Es wird der Tag kommen, da erhebt einer eine Pistole gegen ihn oder ein Präzisionsgewehr, vielleicht ein verwirrter Waffennarr, vielleicht ein von George W. Bush geschickter CIA-Agent. Schüsse werden peitschen, Kugeln sein graues XXXL-T-Shirt durchdringen, dieses lächerliche, verschwitzte Stück Stoff. Die Kugeln werden in seinen massigen, fetten Körper einschlagen, er wird rückwärts fallen, die dunkle Baseballkappe fällt dabei vom Kopf, rollt in einem kleinen Halbkreis um den gestürzten Körper und bleibt liegen. Michael Moore ist tot.

So dramatisch muss es doch sein, wenn einer wie er stirbt. Solche Bilder haben die Leute im Kopf, die ihn so sehr mögen, die Deutschen, die hierher gekommen sind in die Columbiahalle in Berlin, wo Michael Moore am vergangenen Sonntag seine Deutschlandtournee eröffnet hat, eintausendfünfhundert am späten Nachmittag und noch mal so viele am Abend, studentisches Publikum, auch viele engagierte Ältere, Attac-Publikum.

Die ganze Woche hätte er in Berlin bleiben können, sagt Michael Moore, so viele Leute wollten ihn erleben. Nach der Show dürfen sie ihm Fragen stellen.

„Man hört so viel darüber, was die CIA tut. Haben Sie keine Angst um Ihr Leben?“

Nein, sagt Michael Moore. „Die einzige Gelegenheit, bei der Sie Angst um mein Leben haben müssen, ist, wenn Sie mich in ein McDonald’s hineingehen sehen.“

„Mister Moore, es gibt so viele Verrückte mit Waffen.“

Jetzt kommt Michael Moore noch mal in Fahrt, die Zeit ist schon längst rum, weit überschritten, draußen drängeln sich schon hunderte in der Kälte für die Abendvorstellung, aber das muss jetzt noch sein. „Verdammt noch mal, warum macht sich hier jeder Sorgen um mein Leben?“ Michael Moore dreht sich leicht nach rechts, wendet das Gesicht ab, hebt die Hand vor die Augen. Jetzt beginnt er zu winseln, er atmet heftig ein, er schluchzt, er winselt, er greint. Er spricht jetzt im Falsett.

„Uuuuuuuuuuwir haben ihn doch noch gesehn! Er war so luuuuuuustig, so fröööööhlich. Uuuuuuuuuuuuund jetzt ist er toooot! Uuuuuuuuund er hat noch Witze darüber gemacht!“

Er hat verdammt viele Witze gemacht, den ganzen Nachmittag über. Es ist ja auch zum Totlachen. Dass die Amerikaner so dermaßen blöd sind. So was von blöd. Ignorant. 85 Prozent der 18- bis 25-Jährigen finden den Irak nicht auf der Landkarte! Wäre das nicht eine gute UN-Resolution? Bevor George W. Bush ein Land bombardieren darf, müssen seine Landsleute erst mal einen Test machen. Und wenn sie nicht wissen, wo sich dieses Land befindet, müssen sie sich selbst bombardieren. Wäre das nicht was?

Michael Moore spricht jetzt in tiefer Lage, überzeugt, aber dumm, er parodiert den Durchschnittsami, es ist lustig, er kann das wirklich gut. Moore hat ein großes Repertoire von Stimmen, von Tonlagen, den aggressiven Militär, den säuselnden, angepassten Gutmenschen, den ehrlich aufgebrachten aufbegehrenden Bürger, den verschüchterten Feigling, den konservativen Regierungsvertreter, den jovialen Michael Moore, serious guy.

Zunächst will man es nicht glauben, wenn man ihn da so stehen sieht, diesen kleinen, rundlichen Mann, an dem, mal abgesehen von der gewaltigen Stimme, so gar nichts attraktiv genannt werden kann. Fünfzig Pfund, sagt er, habe er in der letzten Zeit abgenommen, und vielleicht ist auch diese Aussage von einem Team aus Rechercheuren und Rechtsanwälten auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft wie jede Behauptung in seinen Büchern. Aber wenn das stimmt, fünfzig Pfund schon runter, um Gottes willen, wie viel hat der Mann vorher gewogen? Das kann doch nicht sein, dass hier ein Anführer steht. Ein Revolutionsführer.

Oder zumindest eine Art Johannes der Täufer. Er hoffe, sagt Michael Moore, dass einer kommt, klüger als er, der alle Lösungen habe.

Michael Moore, der Wegbereiter. Man muss es wohl doch glauben. Und erinnert nicht das verstrebte Gestell seines Lesepults an diesen märchenhaft hohen, leuchtenden Turm aus den Entwürfen des Architekten Daniel Libeskind für den Neubau des World Trade Centers in New York?

Die Hoffnung kehrt wieder. Die Zeiten ändern sich. „Hier ist die gute Nachricht!“, ruft Michael Moore den Menschen in der Columbiahalle zu: Die Zustimmung zum amtierenden US-Präsidenten George W. Bush sei in den letzten Wochen von 80 auf 48 Prozent gefallen.

Das ist eine frohe Botschaft und Moore ihr fröhlicher Botschafter. „Ich gehöre nicht zu den traurigen Linken, die nicht wollen, dass die Leute lachen“, sagt Moore. Wer sagt, er sei einseitig und platt wie sein Hauptgegner George W. Bush und mache es sich einfach mit seinem Comic-Politik-Stil, dem ruft er ein beherztes „Fuck you!“ entgegen.

Nicht traurig soll die Linke sein. Die Amerikaner lieben Berühmtheiten und wählen darum Schwarzenegger? Na und? Muss man eben den Linken Tom Hanks dazu bringen, zu kandidieren. „Die Amerikaner müssten ihn einfach wählen, sie würden sich sonst schmutzig fühlen.“

So geht das. Man kann sich aufklären und trotzdem seinen Spaß haben. Ja, es ist schrecklich: der Krieg, basierend auf Lügen. Das Bildungssystem, absichtlich ruiniert (Moore nennt diese Strategie „enforced stupidity“). Das Sozialsystem zerstört. Der ganze Betrug und die Ausbeutung. Aber wie Moore davon berichtet, tut es nicht weh. Und den Deutschen gleich gar nicht. Sie lachen.

Still, ganz still wird es, als Moore auf Deutschland zu sprechen kommt. Es tut weh, wenn er sagt, dass wir nicht zusehen dürfen, wie das Sozialnetz zerschnitten wird. Dass wir nicht die Solidarität mit denen verlieren dürfen, die keine Arbeit, kein Geld haben, denen niemand hilft und die ganz verrückt werden deswegen. Sich gemeinsam mit den Deutschen über die Ignoranz der Amerikaner lustig machen ist eine Sache. Eine Sache, die Moore viel Spaß macht: Immer wieder muss er selbst lachen über seine Gags, ein hohes, pfeifendes Lachen. Ernst wird es ihm, wenn es um Reformen hier geht.

Er wolle ja niemanden mit dem Gesicht darauf stoßen, was hier passiere. Er sei nur Gast. Aber: „Ich habe in das Gesicht des Teufels gesehen. Und euch will ich das ersparen.“ Was werden die Leute tun, die ihn gehört, seine Bücher gelesen haben? Werden sie beginnen, sich zu wehren? Werden sie unser System ändern? Wird Michael Moore ihr Anführer sein?

„Noch mal: Mir wird nichts passieren. Cola und Fritten werden mich töten, nicht die CIA. Aber jetzt bin ich in Deutschland, werde mich gesund ernähren, und jeden Morgen stehen wir früh auf und rennen um den Block“, sagt Michael Moore am Sonntag. Am Montagmorgen ist er nicht gelaufen, sondern mit dem Auto zur Pressekonferenz chauffiert worden.

„Mister Moore, wie beurteilen Sie Ihre Rolle in der amerikanischen Öffentlichkeit?“

„Übergewichtig.“

Michael Moore wird sterben, in der Hand einen Burger.