Wilde Ausstellungsdeponie

„Content. OMA/AMO, Bauten, Projekte und Konzepte seit 1996“: In der Neuen Nationalgalerie zeigt der Architekt Rem Koolhaas, wie er die Stadt noch immer futuristisch aus den Angeln heben möchte

Koolhaas richtet er für Prada keinen Shop, sondern gleich ein „Epicenter“ ein

von BRIGITTE WERNEBURG

Links, gleich nach dem Eingang von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie, steht der Stand mit den bunten T-Shirts. Er ist gleichzeitig Aussichtsplattform und Verkaufsbude für die Bücher, Magazine und Bildbände über Rem Koolhaas und von Rem Koolhaas, dem Stararchitekten aus Rotterdam, der hier bis ins nächste Jahr hinein gefeiert wird. Rechts daneben werden die Eintrittskarten in einem „Pavillon in Pyjama“ verkauft, der in Goldlamé glänzt. Dahinter ziehen sich mannshohe, fünf Meter lange Stellwände kreuz und quer durch die Halle. Sie schaffen Räume und Nischen für Modelle, Film- und Video-Installationen. Dazwischen ragen das „Hyperbuilding“ empor, eine aufblasbare Konstruktion aus silberfarbenen Plastikschlangen, oder die raumhohen Plakatwände zu „CCTV“. Eine ganz schön wilde Ausstellungsdeponie. Den „spannungsreichen Dialog“ zwischen dem zeitweiligen Herrn der Nationalgalerie und dessen Erbauer, der im Ausstellungsflyer beschworen wird, entwickelt sie allerdings nirgends. Für Koolhaas ist die Glaskiste eine Glaskiste. Ein Container, den er, wie der Ausstellungstitel „Content“ sagt, mit Inhalt voll müllt. In der „Junk Space“-Installation seines Künstlerfreundes Tony Oursler, am Ende des Ausstellungsrundgangs, wird das Verfahren dann konkret.

Das alles schaut sympathisch aus, respektlos, anregend. Mit „Content. OMA/AMO, Bauten, Projekte und Konzepte seit 1996“ wird nicht hohe Baukunst zelebriert, sondern eine breit angelegte Recherche, ein architektonisches und gedankliches Work in progress ausgebreitet. Weniger Mies van der Rohe als vielmehr Le Corbusier muss den fast sechzigjährigen Niederländer und sein 1975 gegründetes „Office for Metropolitan Architecture“ inspiriert haben. Von Corbusier, der rund fünfzig Bücher schrieb und etwa genauso viele Häuser baute, stammt schließlich der Gedanke, dass Architektur zunächst Medienarbeit und dann erst Bauen ist. Dass „architektonisches Denken nicht notwendigerweise in Gebäuden realisiert werden muss“, wie Koolhaas auf der Pressekonferenz am Freitag in Berlin sagte, ist seit Corbusier keine ganz neue Vorstellung mehr.

Allerdings weiß Koolhaas die aktuellen, populären Medienformate wie kaum ein anderer zeitgenössischer Architekt zu nutzen. Er weiß um die Schlagkraft eines guten Begriffs, und daher richtet er für den italienischen Modegiganten Prada keinen Shop, sondern gleich ein „Epicenter“ ein. Die Ergebnisse seines „Harvard Project on the City“ etwa, das ihn zur Feldforschung in die chinesische Sonderwirtschaftszone und ins urbane Chaos des nigerianischen Lagos führte, publiziert er in einer Form, die den akademischen Wälzer zur poppigen Infotainment-Zeitschrift im XL-Format macht. Entsprechend stellt AMO, der Think-Thank seines Architekturbüros, auch die Ergebnisse einer EU-Studie zur Identifikation der Bürger mit dem politischen Bündnis an den Berliner Stellwänden aus: George W. Bush in Kampffliegermontur, überblendet mit dem Zitat vom alten Europa, das freilich von Donald Rumsfeld stammt, und daneben montiert der Hinweis, dass Europa zu wenig Anstrengungen unternommen habe, seine Ideale öffentlich zu machen.

Eingedenk all der Länder, Gruppen und Leute, die ihre Ideale öffentlich machen, möchte man diesem Hinweis nicht unbedingt folgen. Auch das unterschwellige, dynamismusgläubige „China, du hast es besser“, das im Vergleich zwischen den wachsenden asiatischen und den schrumpfenden europäischen Städten mitschwingt, überzeugt nicht. Die Städte, die heute in China wachsen, werden auch dort morgen wieder schrumpfen. Bestimmt 50 bis 80 Jahre später als in Europa. Doch Europa wird dann wieder die Vorhut gewesen sein für das, was neu zu überdenken und neu zu organisieren war. „Content“ ist eine anregende Ausstellung, weil man Koolhaas in allem widersprechen möchte.

Das gilt auch für die „engagierte und kritische Architektur“, die der Träger des Pritzker-Preises, einer Art architektonischer Nobelpreis, für sich reklamiert. „CCTV“ widerlegt diesen Anspruch. Denn hier baut Koolhaas für die Diktatur. Für Central Chinese TV, das staatliche Fernsehen, in dem das Land die von Koolhaas so ausgiebig beschworene Informations- und Mediengesellschaft mangels demokratischer Freiheitsrechte nur simuliert. Überlegungen, wie sie das OMA/AMO-Büro beispielsweise zur Migration anstellt, bringen einen chinesischen Architekten, der sie öffentlich machte, ins Gefängnis, den Niederländer dagegen in die ersehnte Baugrube. Dort errichtet er freilich einen wirklich extravaganten, wenn auch nicht unbedingt schönen Baukörper. Es handelt sich um einen komplexen Polyeder, der ein simpler Klotz wäre, sparte er nicht zu jeder Seite – einmal zur Erde, das andere Mal nach oben – eine abgestumpfte Pyramidenform aus. Solch merkwürdige Haken muss ein Haus schon schlagen, wenn ein inzwischen etwas angestaubter Futurismus noch immer das Denken prägt.

CCTV könnte die Kränkungen, die Koolhaas zuletzt erlitt, vergessen machen. Die Architektur sei zu langsam, erklärte er in Berlin. In der beschleunigten Ökonomie der letzten Jahre sind die Bauherren den fünf Jahren, die Bauplanung und -ausführung dauern, finanziell oft nicht gewachsen. Ein Hotelvorhaben und der Erweiterungsbau des Whitney Museum in New York, wie der Umbau des Los Angeles County Museum, wurden abgesagt. Da die Kommunistische Partei Chinas bis 2008 wohl ideologisch wie pekuniär durchhält, Koolhaas spricht in der Zeitschrift Architectural Digest vornehm von der „verbleibenden Präsenz des Kommunismus in Chinas“, darf er wohl hoffen, sein Werk zu vollenden. Fertig gestellt ist inzwischen auch die Niederländische Botschaft in Berlin. Die Fotografien Candida Höfers vom Innern des Hauses veranschaulichen in gewohnter Kühle Koolhaas' Konzept des „Trajekts“, einer durch das gesamte Gebäude führenden Straße. Der Bau an der Spree ist eigentlicher Anlass der Ausstellung in der Nationalgalerie, die auch eine Geste der Wiedergutmachung ist. Denn einstmals schied Rem Koolhaas unter lautstarker Kritik am provinziellen Niveau der Planungen zum Potsdamer Platz aus ebendiesen Planungen aus. Nun darf sich die Hauptstadt doch noch an den globalen Perspektiven seines Bauens, Denkens und Ausstellens erfreuen.

Bis 18. Januar. Ende November erscheint das Katalogbuch „Content“ (600 Seiten, Taschen Verlag)