Sprung in der Schüssel

Rechtzeitig zum neuen „Best Of“-Album wird Michael Jackson wegen Kindesmissbrauch per Haftbefehl gesucht: Nun wird es unter den Augen der Welt die Trümmer einer Pop-Ikone regnen

Hubschrauber der TV-Sender kreisen überseiner Ranch, als wäresie Feindesland

von ARNO FRANK

Es muss eine kleine Invasion gewesen sein. Mit einer Eingreiftruppe aus 70 Beamten hat die Polizei am Dienstag – dem Tag der Veröffentlichung seines „Best Of“-Albums – das Anwesen des Musikers Michael Jackson besetzt. Gründe für die spektakuläre Razzia nannte ein Polizeisprecher zunächst nicht – aber triftig werden sie schon gewesen sein, um einen solchen Aufmarsch zu rechtfertigen.

Der US-Gerichtssender Court-TV berichtete denn auch prompt, die Durchsuchung hänge mit Vorwürfen eines 13-jährigen Jungen zusammen. Jackson habe ihn sexuell belästigt. Oder missbraucht. Irgendwie behelligt halt, man kennt das ja schon.

Zehn Jahre ist es her, dass Jackson mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert worden war. Zu einem Prozess war es nur deshalb nicht gekommen, weil sich der betreffende Knabe seine offenbar traumatischen Erfahrungen im Bett des Weltstars mit 25 Millionen Dollar quittieren ließ. Die außergerichtliche Einigung wurde, natürlich, als Eingeständnis gewertet.

Künstlerisch bekam der ehemalige „King Of Pop“ seitdem kein Bein mehr auf den Boden, jede Platte verkaufte sich schlechter als die vorhergehende. Und die üblichen Scherze über seine zahllosen Schönheitsoperationen wichen Witzen über seine angebliche sexuelle Orientierung: Was sagt Michael Jackson zu einem kleinen Jungen, der bei ihm auf dem Schoß sitzt? „In dir steckt ein großer Musiker.“

Das ist grob, entspricht aber der Fallhöhe eines Stars, der sich in einer beispiellosen Traumwelt eingerichtet hat. Auf seiner „Neverland“-Ranch, einer bizarren Mischung aus Vergnügungspark und Streichelzoo. Wo er sich, umgeben von einem byzantinischen Hofstaat, eine Umwelt geschaffen hat, die seinem narzisstischen Selbstverständnis als Peter Pan entspricht: Er ist eben der kleine Junge, der nicht erwachsen werden will.

Zuletzt konnte man ihn in der Dokumentation „Living With Michael Jackson“ sehen, da hockte er händchenhaltend mit einem 12-Jährigen auf dem Bett. Und mochte nicht begreifen, was daran anstößig sein könnte: „Oh, come on …“

Nun soll es sogar einen Haftbefehl geben gegen Jackson, der sich zum Zeitpunkt der Razzia in Las Vegas aufgehalten habe. Jacksons Anwalt Brian Oxman lässt verbreiten, die Anschuldigungen wären „absurd“ – weil der Star 24 Stunden am Tag unter Bewachung steht, um genau solche Vorwürfe zu vermeiden.

Jackson lebt in seiner eigenen Welt – wie jeder, der eine pathologische Vollmeise hat und sich seine Neurosen leisten kann. Heikel wird es dort, wo diese Welt in Berührung kommt mit der Realität. Mit eifrigen Anwälten, cleveren Eltern oder, wer weiß, auch der eigenen Sexualität.

Nun kreisen Hubschrauber der großen TV-Stationen über „Neverland“, als wäre es Feindesland, und liefern die Bilder zu einem Skandal, der den Unterhaltungswert des Künstlers weit in den Schatten stellt. Es greifen die Mechanismen einer Mediengesellschaft, die in Jackson keinen Peter Pan mehr sieht, sondern nur noch Frankensteins Monster.

Dieses mediale Schauspiel ist vergleichbar mit dem Absturz des Space Shuttles „Columbia“. Die Dekonstruktion, der Sprung in der Schüssel, leichte Vibrationen, ausfallende Temperaturfühler und erste Risse in der Tragfläche haben sich seit Jahren abgezeichnet – und jetzt wird es unter den Augen der Welt die Trümmer einer verglühenden Ikone regnen.