„Volker Beck soll zurücktreten“

Rot-Grün bricht seine Versprechen zur Homopolitik, sagt der schwule Jurist Dirk Siegfried. Bürgerrechte für Lesben und Schwule müssten nun gegen die einstigen Reformer erkämpft werden. Der Grüne Beck belaste den Lesben- und Schwulenverband LSVD

taz: Sie haben an den grünen Politiker Volker Beck, der maßgeblich am Gesetz zu Eingetragenen Lebenspartnerschaften beteiligt war, geschrieben, die Bilanz der jetzigen Legislaturperiode zur Homopolitik „ist schlechter als null“. Weshalb?

Dirk Siegfried: Weil es seit dem Wahlerfolg von Rot-Grün keinen einzigen Fortschritt bei der Angleichung der Rechte von Lesben und Schwulen gegeben hat. Stattdessen wurden Lebenspartnerschaften weiter belastet. Mehr noch: Sogar auf nicht verpartnerte homosexuelle Paare sollen diese Lasten übertragen werden.

Wie sollen wir das verstehen?

Bei der Berechnung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe soll nach einem vom Bundestag schon verabschiedeten, im Übrigen rot-grünen Gesetzentwurf das Einkommen der Lebenspartner oder nicht verpartnerter Lebensgefährten zukünftig zusammengerechnet werden.

Dagegen wäre eigentlich nichts zu sagen …

… ja richtig, wenn wir die gleichen Rechte hätten. Es ist inzwischen eine Schieflage eingetreten, bei der man sich sogar fragen kann, ob das Lebenspartnerschaftsgesetz überhaupt einen Fortschritt gegenüber der vorherigen Recht- wie Pflichtenlosigkeit darstellt.

Musste man nicht Schieflagen in Kauf nehmen, um das Gesetz überhaupt zu retten?

Aus damaliger Sicht vielleicht. Ein Erfolg des Gesetzes war, dass es uns den wunderbaren Entscheid des Verfassungsgerichts eingebracht hat. Danach verstoßen gleiche Rechte für Homosexuelle nicht gegen den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie. Diese Chance wird von Rot-Grün vertan.

Volker Beck und seine Grünen argumentieren, dass in der jetzigen Debatte um die Agenda 2010 eine Diskussion um Homorechte nur kontraproduktiv wirken würde. Die Republik habe andere Sorgen.

Die Grünen verdanken wesentlich ihren Wahlerfolg der Zustimmung von Lesben und Schwulen. Dann ist auch zu erwarten, dass sie nicht mit dem Hinweis abgespeist werden, nun gebe es zur Zeit Wichtigeres.

Aber der Bundesrat mit der Unionsmehrheit wird ja ohnehin alles verhindern, was Homosexuellen mehr Rechte verschaffen könnte.

Das ist eine rot-grüne Legende. Es gibt viele Bereiche, in denen für Homosexuelle auch ohne den Bundesrat eine stärkere Gleichstellung erzielt werden könnte. Beispielsweise bei der gesetzlichen Hinterbliebenenrente. Dort wäre auch ohne den Bundesrat die völlige Gleichstellung zu erzielen. Oder im Ausländerrecht, in dem die noch bestehenden Rechtsunterschiede auch ohne die Länderkammer beseitigt werden könnten. Hierzu zählt auch die noch fehlende gesetzliche Flüchtlingsanerkennung nicht staatlich Verfolgter.

Nun besteht das Problem, so die Grünen, dass auf sozialdemokratischer Seite die Protagonisten der Homoehe nicht mehr im Bundestag sitzen – und neue Fäden noch nicht zu spinnen gelungen ist.

Eine Ausrede, nichts sonst. Dann müssen die Grünen dafür sorgen, dass die Ansprechpartner benannt werden – der Sachverstand der Sozialdemokraten reicht ja immerhin aus, um Lesben und Schwule in die neuen Verpflichtungen der Agenda 2010 zu ziehen. Es fehlt auch nicht am Sachverstand, sondern am politischen Willen, bei der SPD – und offenbar inzwischen auch bei den Grünen.

Hat man sich zu lange auf Versprechen Volker Becks verlassen?

Ja.

Ist diese knappe Antwort als Kritik am Homoehenvorkämpfer zu deuten?

Auch.

Dürfen wir etwas präziser an dieser Art des Wahrnehmungswechsels teilhaben?

Das Problem besteht meiner Ansicht nach darin, dass er nach wie vor im Vorstand des LSVD sitzt und dadurch verhindert, dass der LSVD den notwendigen bürgerrechtlichen Schwung auch gegenüber der Regierung entfaltet. Wenn er wirklich ein Interesse an der Durchsetzung gleicher Rechte hätte, muss er vom Vorstand des LSVD zurücktreten.

Der LSVD steht ja ohnehin im Ruf, ein grünes U-Boot zu sein.

Der LSVD riskiert schon seit längerem, nicht mehr ernst genommen zu werden – da er sich lediglich als Sprachrohr der grünen Regierungspartei präsentiert. Das ist gegen das Interesse der Lesben und Schwulen.

2002 haben Sie die Wahl der Grünen empfohlen …

… nein, ich persönlich habe mich schon damals für einen Wahlboykott engagiert. Dies aber vor allem wegen der Flüchtlings- und so genannten Sicherheitspolitik der Regierung, die auch wesentlich von Volker Beck zu verantworten ist.

INTERVIEW: JAN FEDDERSEN