Streikende Studenten werden immer mehr

20.000 Studenten demonstrieren am Potsdamer Platz gegen die Sparpläne des Senats. Auch bei der Eröffnung einer Ikea-Filiale in Tempelhof sind Studenten zur Stelle. Ihre Forderung: „Bildung umsonst, Berlin umsonst, alles umsonst“

Der Student am Mikrofon ist außer sich: „Wir sind 100.000 Leute.“ Ganz so viele Kommilitonen waren es dann doch nicht, die gestern vom Potsdamer Platz zum Roten Rathaus zogen. Aber auch die später geschätzten 20.000 Teilnehmer erfreuten die Organisatoren. „Das ist ein Erfolg“, meint TU-Physikstudent Max Bügler. „Wir werden kontinuierlich mehr.“

Neu dazugestoßen ist zum Beispiel Constanze Quade, BWL-Studentin an der HU. Eigentlich steht sie Studiengebühren nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. „Aber wenn die Kürzungen durchkommen, dann geht es vielen Fachbereichen noch schlechter als jetzt.“

Schon einige Stunden vor der Großdemonstration in der Innenstadt hatten Studenten in dem sonst eher verschlafenen Stadtteil Tempelhof gegen die Kürzungen protestiert – bei der Eröffnung der neuen Ikea-Filiale. Mit Transparenten und Blechtrommeln haben sie sich in die Menschenmasse vor dem Eingangsportal des schwedischen Möbelhauses gemischt.

Während die weitaus größere Zahl der Versammelten es kaum erwarten kann, Bettgestelle für läppische 69 Euro zu ergattern, haben die rund 300 Studenten etwas ganz anderes auf dem Herzen: Sie wollen Bildungsasyl – in Schweden. Seit Wochen wird in Werbeanzeigen behauptet, Berlin sei die heimliche schwedische Hauptstadt. „Diesen Titel hat Berlin nicht verdient“, sagt Medizinstudentin Anneli Wachtel. Während in Schweden 7,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung ausgegeben werden, sind es in Deutschland gerade einmal 4,7 Prozent.

Wachtel bepinselt einen der 50 Stühle, die die Demonstranten aufgestellt haben. Jeder Stuhl steht für einen Fachbereich, der den Sparmaßnahmen des Senats zum Opfer fallen soll. „Sie haben die einmalige Gelegenheit, einen Lehrstuhl zu streichen und dann mitzunehmen“, ruft sie den Schnäppchenjägern zu. Die lassen diese Aktionen eher kalt. „Prinzipiell habe ich Verständnis für den Protest – aber nicht hier“, sagt Ikea-Kundin Ilse Harbich. „Die können doch ein paar Meter weiter Lärm machen“, meint eine andere.

Und dann ist es so weit. Die Türen werden geöffent und 5.000 begeisterte Ikea-Fans schieben sich durch den engen Eingang. „Konsum ist geil“, äffen einige Studenten und skandieren: „Bildung umsonst, Berlin umsonst, alles umsonst.“

Schließlich kommt der Geschäftsleiter und stellt sich auf einen der alten Stühle: Er begrüße den Protest, bitte aber, den reibungslosen Ablauf des Eröffnungstages nicht zu gefährden. Als Dankeschön werden zwei Kartons Ikea-Elche verschenkt. Die Studenten grölen vor Freude.

Etwas ernsthafter ging es zu bei einem internen Treffen zwischen Grünen-Hochschulaktivisten und Abgeordneten ihrer Partei. Mit etwas mehr Fantasie könnten die Hochschulen über ausreichend Geld verfügen, so der Tenor. Man müsse nur neue Einnahmequellen erschließen: Durch den legalen Verkauf von Cannabis könnte Berlin 40 Millionen Euro einnehmen, argumentierten Studentenvertreter der Grünen. Zudem solle die Vermögensteuer wieder eingeführt werden und Asylbewerber in leer stehenden Wohnungen des Landes unterkommen.

Die Abgeordneten Lisa Paus, Sibyll Klotz und Ramona Pop waren angetan. „Wir hatten 1997 nicht so viele Ideen“, erinnert sich Pop an die eigene Streikvergangenheit. Paus riet den Studenten, am 5. Dezember zur Stelle zu sein, wenn Thomas Flierl sein Studienkontenmodell vorstelle. Die geschenkten Buttons mit der Aufschrift UNIWUT hefteten sich die Abgeordneten sofort an. Als Trend-Accessoire für die Abgeordnetenhaussitzung am Mittag. Da waren die jungen Grünen schon längst auf der Demo. EGG, FLEE, RN